Wenn Männer ihre Schellen rühren
Fosanachtstreiben am Unsinnigen Donnerstag in Mittenwald
Mittenwald ist seit Jahrhunderten die Stadt des Geigenbaus. Aber in den Fastnachtstagen spielen die Streichinstrumente nur die zweite Geige. Da geben andere Instrumente den Ton an, erfüllen ungewöhnliche Klänge die Gassen und Plätze. Der Ort wird zur Bühne einer verkehrt-ver- und entrückten Welt. Schellenrührer, Vor- und Umläufer, Hexen, Beserer, Plutarchen, Pfandlzieher, Jacklschutzer, Unterberger Mandln, Goaßbock, Bär und Bärentreiber, Mohren und das Muihradl bestimmen den traditionellen Fasching im Werdenfelser Land. Umspielt wir das Ganze von einer anständigen bayerischen Musi – mal geblasen, mal gedrückt und gezogen und mal gezupft.
Kein Wunder, dass Mittenwald auch das Zentrum der bayerischen Larvenschnitzkunst geworden ist: Man pflegt die Narretei und kennt sich bestens mit Holz aus. Deshalb kann man hier an den närrischen Tagen besonders viele alte Larven sehen. Aber Vorsicht: Es gibt Künstler, die neue Larven schnitzen und fassen, die von den alten nicht zu unterscheiden sind. Einer davon – manche sagen, er sei der beste – ist der Holzbildhauer Walter Reiser.
Text und Fotos: Wulf Wager
In der Nacht hat es mächtig geschneit. Fast ein Meter Schnee lässt Mittenwald am Morgen des Unsinnigen Donnerstags, wie der Donnerstag vor Fastnacht im Werdenfelser Land genannt wird, in stillem Weiß versinken. Wir sind mit dem Holzschnitzer Walter Reiser verabredet und besuchen ihn in seiner kleinen Werkstatt. Er wirkt nervös und ist ziemlich im Stress, kleine Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Vor ihm liegt eine ungefasste, mehrteilige Hexenlarve, die sogenannte Naggl, die er in zwei Stunden beim Maschkera eigentlich tragen will. Und nun kamen der Schnee – und wir. Das ist ein bisschen viel am Morgen des Unsinnigen Donnerstags, dem Haupttag des Mittenwalder Faschings. Dennoch begrüßt er uns freundlich und erzählt von seiner Kunst und seiner Vorliebe für die traditionelle Volksmusik. Er lädt uns ein, später zum Fasl-Beck zu kommen. Dort würde er mit seiner Gruppe von Maschkera sicher auftauchen. Wir sagen zu, verabschieden uns und bahnen uns zwischenzeitlich zu Fuß den Weg zwischen großen Schneebergen Richtung Obermarkt. Nichts deutet darauf hin, dass hier in Kürze der Aufzug der Schellenrührer stattfindet. Einzig ein Lastwagen karrt noch schnell Tonnen des frischen Schnees aus der Fußgängerzone und macht Platz für die Zuschauer, die wegen des Wetters und des seit der Nacht gesperrten Grenzübergangs nach Österreich heute wohl etwas dezimierter erscheinen werden als gewöhnlich.
Maschkera in den Gunglstuben
Schon seit dem Dreikönigstag treffen sich die Mittenwalder zu den sogenannten Gunglstuben in den Gasthäusern. Die Maschkera ziehen dabei von Wirtshaus zu Wirtshaus und treiben allerhand Schabernack, immer von Musik begleitet. Der Begriff Maschkera kommt aus dem Italienischen (maschera = Maske). Früher ging man in die Spinnstuben, heute maschkert man in Ermangelung derselben in den Wirtshäusern. Es wird musiziert – alpenländisch – und es wird gesungen und gejodelt – ebenfalls ganz nach der Tradition. Man geht montags, dienstags, donnerstags und manchmal sonntags. Nicht aber am Mittwoch, Freitag und Samstag, den sogenannten halbheiligen Tagen. Da geht man nicht – so will es der Brauch. Man geht immer verkleidet und vor allem verlarvt. Die Larve ist nicht irgendeine Verkleidung. »Sie hilft uns, nicht erkannt zu werden«, erklärt ein Maschkera, »ein passendes Gewand inklusive Kopfbedeckung gehören aber auch dazu.« Zudem verändert man neben der Stimme auch seinen Gang und versucht, anders zu gestikulieren als gewöhnlich. Manche legen sogar den Ehering ab und schwärzen sich die Hände. Die Anonymität ist schließlich das A und O beim Maschkeragehen, einer Tradition, die in der Zugspitzregion noch eifrig gepflegt wird. Nicht nur in Mittenwald, auch in Garmisch, Partenkirchen, Farchant und in den umliegenden Dörfern treten die Schellenrührer und die anderen Figuren in ähnlichen Verkleidungen auf. In manchen Familien werden bis zu 25 verschiedene Holzlarven aufbewahrt. Um nicht erkannt zu werden, tauschen die Familien manchmal auch die Larven aus. Schließlich will man ja beim Raunzen oder Dableckn nicht entlarvt (!) werden. Deshalb muss man beim Trinken auch die Hände seitlich an die Larve legen, um keinen Einblick auf das Antlitz zu gewähren.
Maschkera-Musikanten in klassischer Tanzlmusik-Besetzung mit Tuba, Flügelhorn, Klarinette, Tenorhorn und Harmonika ziehen durch die Straßen und vor allem in die Gaststätten. Dort geht es hoch her, denn die Musikanten – selbstverständlich auch maskiert – sind hochwillkommen. Maschkera, die in Mittenwald immer männlich sind, werden von mutigen Frauen und Mädchen schon zum Tanz erwartet. Ein richtiger Maschkera stampft rei, das heißt, er stampft in einem bestimmten Takt fest auf den Boden, wenn er das Wirtshaus betritt. Man braucht als Maschkera schon eine gute Kondition, um die Vorfaschingszeit zu überstehen. Denn der Hauptakt steht erst noch bevor – der Unsinnige Donnerstag, der Tag, der vor 200 Jahren von der Kirchenführung noch als Ketzerfest verdammt wurde.
Die Schellenrührer kommen immer aus Haus Nummer 1
Erst eine halbe Stunde vor zwölf Uhr füllt sich der Obermarkt ganz langsam mit Zuschauern. Alle erwarten sehnsüchtig den Aufzug der Schellenrührer. Die haben sich bereits im Haus Nummer 1 versammelt, so wie das seit Urgedenken der Brauch ist. Es sind 14 Männer. Sie tragen die klassische oberbayerische Tracht mit den Haferlschuhen, handgestrickten weißen Kniestrümpfen, der kurzen Lederhose, einem weißen Hemd, Seidenkrawatte, gestickten Hosenträgern, einem weißen Tuch als Larvenhaube und dem grünen Velourhut mit Adlerflaum. Das Hauptaugenmerk lenkt aber automatisch die Larve auf sich, die meist einen wuchtigen Schnauzbart und einen grimmig-ernsten Gesichtsausdruck zeigt. Große weiße Augäpfel blicken starr mit unnachgiebiger Strenge unter den aufgemalten Augenbrauen auf den Betrachter. Um den Bauch trägt der Schellenrührer einen breiten Ledergurt, bei dem über dem Gesäß vier große Ochsenschellen angebracht sind, die der Schellenrührer durch das majestätische Hupfen zum Klingen bringt. Damit dies synchron geht, zeigt der Vorläufer mit seinem reisigumflochtenen Bogen den Rhythmus an. Der Vorläufer wie auch der Umläufer, der den Schellenrührern durch ständiges Umkreisen Platz schafft, trägt ein weißes Gewand, das über und über mit wertvollen Seidentüchern in Weiß und pastell-Hellblau besteckt ist. Den Kopf ziert ein mit weiß-blauen Bändern aufgeputzter Spitzhut. Ihre Larven blicken im Gegensatz zu denen der Schellenrührer freundlich, fast weiblich zart drein. Klassische Eleganz und ausnehmende Zartheit verleihen der Larve eine ästhetische Anmutung. Über eine Stunde dauert es, bis jede der beiden exponierten Figuren aufgeputzt ist.