Wie der Adi als Hochzeitslader in die Musl-Krippe kam
Kaum etwas anderes steht so sehr für die sogenannte »stade Zeit«, wie Weihnachtskrippen. An sich sind Krippen ziemlich stad. Die Figuren aus Holz, Ton oder Papier bewegen sich recht selten und reden noch weniger oft. Trotzdem erzählen sie Geschichten. Nicht nur die christliche Heilsgeschichte, sondern auch ganz individuelle. Eine solche sprechende Figur ist beispielsweise der Adi in der Musl-Krippe in Tirschenreuth.
Text: Florian Schwemin Fotos: Florian Schwemin und Stadt Tirschenreuth
Die Musl-Krippe besteht genau genommen aus mehreren Krippen, die Szenen aus der Heilsgeschichte von der Verkündigung bis zur Auferstehung darstellen. Die ältesten Figuren und Gebäude stammen aus der Zeit um 1830, bis heute kommen neue Figuren hinzu. Hüter der gut 1.000 Figuren ist Leonhard Kühn. Die Heerscharen der Krippenfiguren stehen in Reih und Glied im Wohnzimmerschrank in der Wohnung über dem Wirtshaus, das seit vielen Generationen im Familienbesitz ist. Einzelne Szenen werden zu verschiedenen Anlässen immer wieder aufgebaut, so ist die Auferstehungskrippe Jahr für Jahr in der Tirschenreuther Stadtpfarrkirche zu sehen und bei den im Fünfjahresrhythmus stattfindenden Ausstellungen des 2003 gegründeten Krippenvereins baut Kühn in tage- und nächtelanger Arbeit mehrere seiner Krippen auf.
Freunde und Bekannte als Krippenfiguren
Bis vor kurzem schnitzte Kühn viele Figuren selber. Manche, wie eine, die ihn als Wirt der Hochzeit von Kanaa darstellt, wurde ihm von Freunden angefertigt, wieder andere erwarb er von einem tschechischen Schnitzer, den er nach der Grenzöffnung kennenlernte.
Auch der Adi ist Bestandteil der Hochzeitsszene, eines von vielen Bildern aus dem Leben Jesu, das Leonhard Kühn in seinem Wohnzimmerschrank aufbewahrt hat. Wie für die Tirschenreuther Hauskrippen üblich sind die biblischen Figuren in orientalischer Kleidung gestaltet, während das »bürgerliche« Personal in Alltagskleidung daherkommt. Die etwa 11 cm hohe Figur stellt den ehemaligen Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, Dr. Adolf J. Eichenseer (1934 – 2015) als Hochzeitslader dar, der zusammen mit einer Gruppe von Musikanten die Hochzeit begleitet. Diese Figur, die der Musl-Wirt im März 1999 selbst schnitzte ist wie die ganze Hochzeitsszene ein Beispiel dafür, wie sich ganz Persönliches in den Hauskrippen widerspiegelt. Die Hochzeit findet nämlich vor dem eigenen Wirtshaus statt.
Kanaa in Oberpfälzer Tracht
Dass der Adi in der gleichen Szene wie der Wirt Kühn zu sehen ist, zeigt, wie eng die Verbindung der beiden war. Leonhard Kühn lernte Adolf Eichenseer 1971/72 kennen, als er sich beim Bezirk Oberpfalz um einen Zuschuss für Trachten des Musikzugs ATSV Tirschenreuth bemühte. Eichenseer, der damals bemüht war, Kapellen und Vereine weg von alpinen, hin zu erneuerten Oberpfälzer Trachten zu bringen, bestand zunächst auf einer braunen Jacke, wie sie für die Oberpfalz in vielen Quellen zu finden war. Dies stieß bei den Tirschenreuthern nicht unbedingt auf Gegenliebe. Anhand einer Stadtchronik und einer Sterndeuter-Krippenfigur – einem Hirten, der auf den Stern deutet – konnte Kühn den in Trachtenfragen oft unnachgiebigen Bezirksheimatpfleger überzeugen, auch die Förderung blauer Jacken zu befürworten. Die Begegnung mit der, auch zu Beginn der 1970er Jahre zu großen Teilen im Wohnzimmerschrank aufbewahrten Musl-Krippe des Gastwirts Kühn war die Initialzündung für Eichenseer, die Oberpfälzer Krippen als wichtigen Bestandteil der regionalen Kultur zu erkennen. Zusammen mit Kühn und anderen Krippenschnitzern und -besitzern organisierte Eichenseer Ausstellungen und gab Bücher heraus. Das Titelbild eines 1976 erschienenen Buches ziert übrigens der genannte Sterndeuter.
Die Figur des Hochzeitsladers Adolf Adi Eichenseer stellte Kühn in Erinnerung an ihre gemeinsame Geschichte in erneuerter Tirschenreuther Tracht, wie sie 1972 ausgehandelt wurde, dar. Die Darstellung Eichenseers als Hochzeitslader ist auch nicht ganz zufällig. So begann Eichenseer mit dem Aufbau des Oberpfälzer Volksmusikarchivs (OVA) mit der Sammlung von Vierzeilern und Schnaderhüpfeln und zeichnete in Interviews und bei Hochzeiten die Sprüche und Melodien der Hochzeitslader auch im Stiftland auf. Mit dem Stecken und dem Blatt, von dem Eichenseer offensichtlich einige – vermutlich eindeutig zweideutige – Verse abliest und der Geschichte von persönlicher Verbundenheit, die sie erzählt, wirkt die Figur Vieles, aber nicht stad.