In der neu eröffneten Freyunger Volksmusikakademie fand das 25. Seminar für Volksmusikpflege und -forschung statt. Und es ging: um die Zukunft.
Gleich zu Anfang: Schön ist sie geworden, die Volksmusikakademie in Bayern, welche am Wochenende von 12. bis 14. April ihre Pforten geöffnet hat. Im Vorfeld wurde ja viel diskutiert: Eine Akademie für Volksmusik – brauchts des? Noch dazu im niederbayerischen Freyung, das ja bislang nicht unbedingt als Epizentrum der Musik- und Volkskultur begriffen wurde? Die Antwort, kurz und gut: ja, des brauchts. Als Ort der Begegnung, zum Musizieren, zum Tagen und Diskutieren – ohne Grenzen.
Text: Eva Geiger-Haslbeck Fotos: Beate Bentele, Sonja Margreiter, Manuela Lang, Luca Peda
Beinahe nie zuvor war das Interesse an Volksmusik und Brauchtum so groß wie heute. Und selten gab es so viele verschiedene Betrachtungsweisen und Ansätze darüber, was die Volksmusik ist und was die Volksmusik braucht, um zum einen so bestehen zu können, wie sie ist – und sich zum anderen auch weiterentwickeln zu können. In einem Rahmen, der offen ist für Neues, aber Qualität und Tradition nicht aus den Augen verliert.
Und so wurde dann auch ein ganzes Wochenende lang intensiv gearbeitet und diskutiert. Über das Verständnis von Volksmusik in der Volksmusikpflege. Darüber, wie man jetzt und in Zukunft damit umgeht, dass Zeiten und Menschen sich verändern. Denn auch die Volksmusik und ihre Akteure – seien es Musiker, Lehrer, Archivare, Pfleger – müssen auf ihre Art am Puls der Zeit bleiben. Mit Volksmusikpflege 3.0: Alter Trott – neue Wege? war deshalb das diesjährige Seminar für Volksmusikforschung und -pflege in Bayern überschrieben. Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege veranstaltete die Seminarreihe zum 25. Mal – und ging im Jubiläumsjahr wirklich ans Eingemachte.
Was macht uns aus?
Nach dem musikalischen Auftakt am Freitagabend wurden Samstag und Sonntag dazu genutzt, um konstruktiv nach vorne zu schauen. Was sich am Samstagvormittag als echte Herausforderung darstellte, war die schwierige Aufgabenstellung der Leitbilddiskussion. In drei von Vertretern der Volksmusikpflege angeleiteten Diskussionsrunden sollten individuelle Ansichten zu essenziellen Punkten herausgearbeitet werden. Dabei ging es sowohl um die Perspektiven von aktiven Sängern, Tänzern und Musikanten als auch um die ehrenamtlichen Volksmusikpfleger, Vereine und Veranstalter sowie, in Gruppe drei, die Hauptamtlichen. Jede Diskussionsgruppe sollte anhand einer pyramidenförmigen Darstellung – von der Basis bis zur Spitze – überlegen, was die Essenz ihrer Arbeit und die eigene Motivation ausmacht. Der »Boden« der Pyramide, also die Wurzel der Überlegungen, stellte die Frage: Worauf basiert unsere Arbeit? Begriffe wie öffentlicher Auftrag, demokratische Grundhaltung, gesellschaftliche Orientierung und, natürlich, regionale Identität waren dazu vorgegeben. Als nächster Punkt in der Pyramide stand die Frage: Was zeichnet uns aus? Hier wurden Aspekte wie praktisches und theoretisches Wissen, Vernetzung und Engagement aufgeführt, gefolgt von der nächsten Fragestellung: Was macht unsere Angebote besonders? Und schließlich der Pyramidenspitze, die mit dem »Vermittlungs-Dreiklang« – Wissen, Können, Lebensfreude – überschrieben war.
Klingt kompliziert? Das war es auch. Wie sich bei der anschließenden Präsentation der Ergebnisse zeigte, gab es nämlich in jeder Gruppe enormen Redebedarf. Gerade Themen wie Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, bessere Nutzung der eigenen Kompetenzen standen durch die Bank auf der Zukunftsagenda für die Neugewichtung der Leitlinien. Schwer fiel es, diese Aufgaben zu kanalisieren – womit wir zum Kernpunkt der samstäglichen Diskussionsrunde kommen: Jeder ist sich darüber im Klaren, dass etwas getan werden muss, um die Volksmusikpflege – ob institutionalisiert oder nicht – zeitgemäß auf Kurs zu halten. Aber was genau? Und wie? Und mit welchen Akteuren? Das bleiben große Fragezeichen, die als Aufgabenstellungen in die Ideenwerkstätten mitgenommen wurden, die für den Sonntagvormittag geplant waren.
Am Zahn der Zeit
Der Samstagnachmittag stand im Zeichen verschiedener Themenschwerpunkte. Das Vorbereitungsteam um Franz Schötz hatte einige spannende aktuelle Projekte herausgesucht, zu denen in jeweils rund einstündigen Vorträgen berichtet wurde. Mit Bis Kathrein schwing ich das Tanzbein wurde die auch in der »zwiefach« bereits vorgestellte Evaluation des Münchner Kathreintanzes von Prof. Dr. Norbert Klassen sehr ansprechend und spannend präsentiert. Volksmusik, Volkstanz als Event im traditionellen Jahreskreis, das auch von den »Jungen« angenommen wird: eine schöne Bereicherung des kulturellen Lebens, die fast mühelos in der Jetzt-Zeit angekommen ist.
Unter dem Titel Das musst Du erlebt haben! berichteten die Musiker Matthias Pürner und Martin Albert von ihren Erfahrungen als Lehrer und Teilnehmer auf verschiedenen Musikseminaren. Auch hier gab es eine klare Zukunftsbotschaft – oder sogar zwei Botschaften: Seminare boomen, und das aus gutem Grund. Man lernt hier nämlich ungezwungen und in geselligem Kontext nicht nur das Musizieren selbst, sondern auch das Spielen vor Leuten und in der Gruppe, ob spontan oder vorbereitet. Zum Zweiten eröffnen Seminare ganz neue Perspektiven für die Volksmusik – weil sie eben nicht nur erfahrene Volksmusikanten, sondern durchaus die ganze Bandbreite von Hobby- und Profimusikern anziehen. Das ist eine Herausforderung für die Seminarstrukturen, aber auch eine große Chance, mehr Öffentlichkeit zu bekommen.
Ulrike Zöller berichtete in ihrem Vortrag Woodstock und Wurzelfest über das Thema Volksmusik als Event und beleuchtete dabei die Entwicklung von ersten Großveranstaltungen über kritisch zu betrachtende Jugend-Musiziercamps der Nazis bis zu heutigen Massenevents. Dass das Interesse an Volksmusik stetig wächst und die Hörer und Musikanten durchaus jünger werden, sah man an ihren Ausführungen über die großen Blasmusikfestivals, die mittlerweile hunderttausende begeisterte Festivalbesucher anziehen.
Im zweiten großen Seminarraum – dem »Schwarzn Buam« – stellte Evelyn Fink-Mennel das OU Jodelfest vor. Mitreißend berichtete sie nicht nur über die mittlerweile fünf Jahre, in denen das Jodelfest zu dem wuchs, was es heute ist: eine jährlich in einer anderen Region stattfindende Feier regionaler Jodel- und Gesangskultur. Sie stellte auch den diesjährigen OU-Standort Gonten in der Schweiz vor und vermittelte das Festivalkonzept eindrücklich, indem sie auf das spezifisch schweizerische Jodelprogramm einging. Danach ging es mit Elke Richly und Magnus Kaindl um kulturelle Nahversorgung im Projekt Frida & Kurt, das zur Zeit in den Münchner Stadtvierteln Seniorinnen und Senioren zum gemeinsamen Singen und damit einer aktiven Teilnahme am kulturellen Leben einlädt (die »zwiefach« berichtete). Als Abschluss wurde in der »Black Box« von Ideengeber, Bürgermeister und Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich das Konzept der Volksmusikakademie in Bayern präsentiert – für die Seminarteilnehmer natürlich ein besonders interessanter Schwerpunkt. Was machen wir mit den tollen, neuen Räumlichkeiten – und wie nutzen wir sie nachhaltig im Sinne der Sache?
Und die Politik?
Ein sehr intensives und aufschlussreiches Programm, das seinen Abschluss in einer offenen Podiumsdiskussion in der Aula des Freyunger Gymnasiums finden sollte. In einer von dem ehemaligen BR-Chefreporter Ernest Lang moderierten Runde sprachen Steffi Zachmeier, Musikantin und Musikethnologin, Roland Pongratz, Kulturmanager und aktuell musikalischer Leiter der Volksmusikakademie, Dr. Elmar Walter, Chef der Abteilung Volksmusik beim Landesverein, Peter Margreiter, Obmann des Tiroler Volksmusikvereins sowie die beiden Politiker Dr. Olaf Heinrich, Bürgermeister von Freyung und Bezirkstagspräsident von Niederbayern, und der Bayerische Staatsminister für Finanzen und Heimat Albert Füracker über das Thema Wohin geht die Reise?. Schnell stellte sich heraus: Nicht nur die Akteure der Volksmusikpflege und -vermittlung, sondern auch die Politik ist gefragt, wenn es um zukunftsweisendes Arbeiten geht. Ein Ministerium für Heimat, neu geschaffen und einzigartig in Bayern, hat den Auftrag, der Volkskultur ganz praktisch unter die Arme zu greifen. Denn was macht denn Heimat aus? Richtig, auch die Kultur, die wir pflegen. Dazu gab es einige, durchaus auch hitzige, Beiträge aus dem Publikum, die verdeutlichten, wie schwierig es die Volksmusik in der Vermittlung oft immer noch hat. Es fehlen nicht nur Gelder für Haupt- und Ehrenamtliche, die Volksmusik fehlt in Lehrplänen an Schulen und Musikschulen, sie fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung. Hier packten sich auch die Vertreter der Volksmusikanten auf dem Podium an die Nase: Man muss zeitgemäßer agieren. Bessere Kommunikation ist der Schlüssel dazu. »Wir können vieles gut – aber Öffentlichkeitsarbeit ist bisher nicht unsere Stärke«, sagte Elmar Walter ehrlich.
Ein klein wenig neidisch blickten die bayerischen Diskutanten auf den Gast aus Tirol. Peter Margreiter und sein Team haben über die vergangenen Jahre viele Prozesse des Vereinsbelebens überarbeitet und effizienter gestaltet, ihr Auftreten nach außen professionalisiert und auch ein geschicktes Händchen im Generieren von Fördergeldern bewiesen. Dazu gehören Engagement, Fleiß – und eine offene, kluge Betrachtung der Sachverhalte und Möglichkeiten. Hier, so waren sich eigentlich alle einig, kann man von unseren Nachbarn noch einiges lernen – und man sollte sich auch nicht scheuen, Ratschläge anzunehmen. In den online eingegangenen Zuschauermeldungen (die Diskussion wurde live auf dem Online-Portal der Passauer Neuen Presse übertragen) wurde der Wunsch nach mehr Praxis und weniger Theorie laut. Es braucht Identifikationsfiguren, so der Tenor der Diskussion, die nach vorne gehen und das tun, worum es geht: musizieren!
Dass die Musik selbst die größte Überzeugungskraft hat, wurde auch klar, als die musikalischen Gäste des Abends das Ruder übernahmen. Alle Zuhörer, aber besonders auch die beiden Politiker auf dem Podium hatten leuchtende Augen, nachdem die Kapelle Josef Menzl ihre Version des Maxglaners gespielt hatte. »Das ist doch das beste Beispiel dafür, dass Musik keine Genregrenzen kennt«, freute sich Albert Füracker, der in der Runde ganz offen, direkt und auch aus dem Publikum dazu aufgefordert wurde, die möglichen finanziellen Mittel aus dem Heimatministerium auch für die Volksmusik einzusetzen. Es schien so, als wäre er mehr als bereit dazu.
Nach vorne schauen!
Und der Sonntag? Der wurde für das ganz konkrete inhaltliche Arbeiten genutzt. Elmar Walter hatte für die drei Ideenwerkstätten zu den Themen Singen, Musizieren und Tanzen externe Moderatoren des Neuburger Centrums für marktorientierte Tourismusforschung eingeladen, was eine wirklich gute Idee war. Das, was am Vortag in den Runden noch teilweise im eigenen Saft geköchelt wurde, bekam so den Impuls zum Weiter-Denken. Ideen wurden kanalisiert – und Pläne für neue Projekte geschmiedet, die schon beim Durchdenken Spaß machten!
Gedreht wurde an den Stellschrauben Materialbasis, interne Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Rollenverteilung und Veranstaltungen. Was muss raus? Was muss überarbeitet werden? Was schaffen wir Neues?
Kooperation und Vernetzung zwischen den Institutionen war dabei ein großes Thema, aber auch die Aufbereitung von altem und das Finden von neuem Material. Wie kann Volksmusik leicht zugänglich gemacht und gut »gefunden« werden, sowohl für erfahrene Leute aus der »Szene« als auch für »Neulinge«? Wie kann man Volksmusik aus der Exoten-Ecke in die Gesellschaft holen, als Teil eines breiten Kulturangebots? Klar ist: Schwellen müssen abgebaut, ein Verständnis für Normalität muss geschaffen werden – und auch der Reiz des Singens, Tanzens und Musizierens muss erhöht werden. Durch ansprechende Veranstaltungsformate, zum Beispiel. Durch Identifikationsfiguren, die die Volksmusik nach außen tragen. Durch gutes Material, saubere Recherche, Offenheit in alle Richtungen, auch in die Richtung der Neuen Medien. Ganz konkrete Ideen sind in der »Werkstatt« entstanden, von denen wir sicherlich noch einiges hören werden – schließlich wird die Kommunikation ausgebaut. Im Sinne der Sache. Volksmusik 3.0 eben! Es bleibt spannend.
Die Volksmusikakademie in Bayern
Mitten in Freyung, direkt gegenüber der Brauerei und eingebettet in ein altes Gebäudeensemble, ist aus dem historischen Brauereistadl ein musikalisches Bildungshaus mit dem Schwerpunkt auf Volksmusik entstanden. Rund zwölf Millionen Euro hat der Um- und Ausbau gekostet, dafür stehen jetzt zwei große Seminar- und 13 klangoptimierte Proberäume, ein Übernachtungstrakt mit 48 Betten und eine Akustik, die sich am Salzburger Mozarteum orientiert, zur Nutzung bereit. Eingeladen sind alle, die sich mit Musik beschäftigen: Es gibt ein festes Seminarangebot der Akademie für Sänger, Tänzer und Musikanten, aber auch die Möglichkeit, sich für Probewochen und Seminare selbst einzubuchen. Sogar ein kleines Tonstudio ist im Haus vorhanden.
Für Konzerte und Geselligkeit kann nicht nur die Akademie selbst genutzt werden, sondern auch die Freyunger Bühnen und Wirtshäuser. Schließlich soll die Akademie der Region ganzheitlich Vorteile bringen – und auch ihre Besucher über den Tellerrand blicken lassen. »Meine feste Überzeugung ist: Die ganze Region wird gewinnen«, so Freyungs Bürgermeister und Akademie-Bauherr Dr. Olaf Heinrich. Die Lage im Dreiländereck Deutschland-Österreich-Tschechien lässt zudem auf einen grenzübergreifenden kulturellen Austausch hoffen. »Jeder, der sich von der Akademie angesprochen fühlt, ist uns willkommen«, so der musikalische Leiter Roland Pongratz. Wir wünschen einen guten Start – und viele schöne musikalische Stunden!
www.volksmusikakademie.de