Oide Wiesn Spezial - Ein Rückblick Teil III (aus zwiefach 05/2018)

Mister Wau Wau und die Riesendame

Volkssänger und das Oktoberfest am Beispiel Karl Valentin

Text: Andreas Koll Fotos: Nachlass Karl Valentin (Valentin-Erben / RA Gunter Fette)

Das Wesentlichste am Münchner Oktoberfest ist bekanntlich das Bier. Daneben gibt es, neben reichlich Essen, zur Förderung der Stimmung Blasmusik. Und weil Stimmung am besten dann aufkommt, wenn sich jeder aktiv daran beteiligen kann, so spielen die Musikkapellen Lieder. Die Leute sitzen oder stehen auf den Bänken, schunkeln, klatschen und singen mit. Daran hat sich seit vielen Jahrzehnten nichts geändert. Das Repertoire ist meist übersichtlich, besteht aus den bekanntesten Schlagern der Zeit und aus bewährten Stimmungsliedern. Dazu wurden Texthefte verteilt, um allen das Mitsingen zu ermöglichen. In einem Textheft des Festwirts Georg Lang zum Oktoberfest 1904 finden sich Lieder wie: Du bist zu schön um treu zu sein, Wenn die Blätter leise rauschen, Da hat der alte Peter g’lacht, Nach Hause gehn wir nicht und dergleichen mehr. Dazu wurden damals bekannte Märsche und Operettenmelodien gespielt. Aber auch die bekanntesten Couplets der Münchner Volkssänger dürften auf dem Programm gestanden haben.

Volkssänger auf der Wiesn!?

Volkssänger waren um 1900 die populärsten Unterhalter Münchens, zumindest für die einfachen Bevölkerungsschichten. Mit ihren kurzen Theaterszenen, humoristischen Vorträgen und ihren Couplets spiegelten sie das Milieu der Münchner Vorstädte oder machten sich über die »Gscheerten« vom Land lustig, was damals sehr populär war. Inwieweit Volkssänger auch auf dem Oktoberfest auftraten, ist schwer zu sagen. Zum einen ist es naheliegend, dass die Stars der Münchner Unterhaltungsszene auch auf dem Oktoberfest präsent waren, zum andern betrieben sie eigene Unterhaltungstheater oder waren fest an solchen engagiert und dürften gerade in dieser Zeit dort unabkömmlich gewesen sein, zumal die Wiesn als das bedeutendste Ereignis Münchens auch damals schon massenweise Besucher aus nah und fern in die Stadt lockte.

Der Schausteller Karl Valentin und seine Froschbahn

Karl Valentin hat sich zeitlebens als Volkssänger bezeichnet, all seine Szenen beziehen sich formal auf die Programme in den Volkssängerbühnen, auch wenn sie inhaltlich weit darüber hinaus reichen. Karl Valentin war ein leidenschaftlicher Münchner. Und als solcher hat er das Oktoberfest aufgesaugt, von Anfang an. Sein offizieller Beruf war Schausteller. Das Oktoberfest war ihm Wirkungsstätte und Bühne, Szenerie und Inspiration. Schon als Jugendlicher scheint er vom Schaustellergewerbe auf dem Oktoberfest fasziniert gewesen zu sein, er bastelte eine Wasserrutschbahn. Im Jahr 1921 setzte er dieses Vorhaben in die Tat um und beantragte für den Zeitraum vom 9. 9. 1921 bis zum 2. 10. 1921 eine Konzession als Schausteller für eine Frosch-Hüpfbahn. Sogar ein Foto dokumentiert dieses Ereignis. Karl Valentin kam immer wieder auf diese Rutschbahn-Vergnügungen zurück und träumte von der Talsturzbahn, dem größten Ereignis des Oktoberfestes, und von einer Wolkenkratzer-Absturzbahn. Das Jahr 1921 brachte für Karl Valentin die bis dahin für ihn intensivste Beschäftigung mit dem Oktoberfest. Nicht nur, dass er mit seiner Froschbahn als Schausteller auftrat, 1921 drehte er dazu auch noch den Stummfilm Mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt auf der Oktoberwiese. »1921 wurde ich einmal während einer Filmaufnahme vor vielen tausend Menschen auf dem Oktoberfest zwanzig Meter hoch in die Luft gezogen. Dabei wurde ich völlig unfachgemäß in einen schmalen Riemen geschnallt und mit einem Flaschenzug hochgezogen. Obgleich ich nur fünfundfünfzig Kilo wog, schnitt mir der schmale Riemen derart in meine Eingeweide, dass ich hinunterschrie: ›Ich halts nicht mehr aus!‹«

Vom Schichtl begeistert

Karl Valentin war nicht nur der bedeutendste Münchner Unterhaltungskünstler des 20. Jahrhunderts, sondern er wurde auch aufgrund seiner leidenschaftlichen Sammlertätigkeit zu einem bedeutenden Chronisten dieser Stadt. Er sammelte historische Ansichten Münchens von 1855 bis etwa 1914, auch vom Oktoberfest. Besonders das Schichtl-Theater hatte es ihm angetan, in dem bei jeder Vorstellung ein Zuschauer bei lebendigem Leibe mittels einer Guillotine geköpft wird, um am Ende doch unversehrt das Theater zu verlassen. »Zum Oktoberfest gehört aber auch noch etwas anderes, ohne das ein solches kaum denkbar war: Der Zaubertheater Direktor August Schichtl. Seine Vorstellungen waren stets ausverkauft.« Karl Valentin selbst hatte schon als Jugendlicher Guillotinen gebastelt und in seinen Lach- und Gruselkellern war eine Guillotine fester Bestandteil.

Etliche Kurzszenen Valentins spielen auf dem Oktoberfest, wie Der Taucher auf der Festwiese, die jedoch nur ein einziges Mal im November 1918 aufgeführt wurde, da diese relativ kurze Szene mit einem großen Wasserbassin einen höchst aufwendigen Aufbau erforderte. In seinen Jugenderinnerungen schreibt Valentin: »Vom Taucher auf der Oktoberfestwiese hatten wir abgeschaut, wie man Tauchversuche machte. Aber der Einfachheit halber gingen wir damit nicht ins Wasser, sondern in unser Strohmagazin.« Bereits 1906 vollführte Richards Taucher mit Schwimmtruppe auf dem Oktoberfest seine Kunststücke. Immer wieder hat sich Valentin mit der Figur des Tauchers beschäftigt, in seinen Schallplattendialogen und in seinen Museumsprojekten, dem Panoptikum im Keller des Hotels Wagner oder im Lachkeller seiner Ritterspelunke. Auch hätte er diese Szene gerne zu einem Tonfilm verarbeitet, aber das war ihm nicht vergönnt.

Lilly Wiesi-Wiesi und ihre Kollegen

Aus Valentis Bühnenszene Er und Sie auf dem Oktoberfest aus dem Jahr 1932 stammt der legendäre Spruch: »Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.« Und in der Bühnenanweisung hierzu heißt es: »Hintergrund Oktoberwiese, ein Biergarten mit Tisch und Bänken, links ein Lukas’-Stand – ganz vorne ein runder Tisch mit drei Stühlen – links und rechts ein Tannenbaum. Vorhang auf – Musik spielt ein Prosit der Gemütlichkeit 1-2-3 g’suffa«.

Und dann gibt es noch ein Bild, das Karl Valentin zusammen mit Bert Brecht in der Szene Oktoberfestschau zeigt. Doch dies hat mit dem Oktoberfest selbst nichts zu tun, sondern bezieht sich auf eine Bühnenszene, die 1920 im Theater Charivari in der Senefelderstraße und 1921 im Theater Monachia am Karlstor aufgeführt wurde. Es traten auf: Liesl Karlstadt als Impresario, eine Riesendame namens Lilly Wiesi-Wiesi, Tafit, der Mann mit den Riesenohren und Valentin Wau, der Mann mit dem Eisenmagen, das Muskelphänomen. Am Schluss der Szene lässt sich Valentin Wau, das Muskelphänomen, von einem mit fünf Personen voll besetzten Auto überfahren.

Kolumnen und Kritik

In seinem Buch Brillantfeuerwerk veröffentlichte Valentin 1938 auch Kolumnen zum Oktoberfest. Im Text Auf der Oktoberwiese im Jahre 1926 heißt es: »Dann kaufte ich mir in der Augustinerbude eine Maß Wagnerbräu. Und als ich meinen Durst gelöscht hatte und der Bude entstieg, abendelte es draußen schon. Unzählige Glühlampen glühten vor Glut. Interesse halber nahm ich mir vor, sämtliche Glühlampen auf der Wiese zu zählen. Ich war bereits bei der 22 533 Lampe angelangt, da kommt ein halb besoffener Mann und frägt mich: ›Bitt schön, Herr Nachbar, wieviel Uhr ists denn?‹ Ich zählte laut meine Glühlampen weiter – 22 534. In dem Moment hat mir der eine mordstrumm Watschn gegeben, denn dass es so spät sein sollte kam diesem Mann unwahrscheinlich vor.«

Daneben beklagt Valentin, dass jetzt die alten Blechmusikanten mit ihren Gassenhauern mehr und mehr verschwinden und den amerikanischen Jazzkapellen und Liedern wie Was machst du mit dem Knie, lieber Hans Platz machen müssen. Sein Resümee: Für unser altes Oktoberfest passt das nicht. »Oder baut den modernen Münchnern ein eigenes Oktoberfest … aber lasst’s uns das alte.«

Mit einem Augenzwinkern

Und ganz zum Schluss noch eine Anekdote: Karl Valentin und Liesl Karlstadt waren zu einem Brahms-Abend in honoriger Gesellschaft eingeladen. Hinterher waren sie sich einig: »Allerdings meinten wir alle beide unter uns, dass wir am Münchner Oktoberfest in der Bräurosl bei der 45 Mann starken Blechmusi schönere Abende verlebt haben.«

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