Ein fast vergessener Begriff:
Katzlmacher!?
Text: Roland Pongratz Foto: Henning Schlottmann
Nur ein paar Schritte vom Münchner Hofbräuhaus entfernt befindet sich in der Bräuhausstraße die Osteria Der Katzlmacher. Ein eher ungewöhnlicher Name für ein Lokal und die Bilder und Assoziationen, die man damit schnell verbindet, werden endgültig auf den Kopf gestellt, wenn man vor dem Eingang steht, denn da drüber prangt ein großer metallener Ausleger, ein Nasenschild, wie es als traditionelle Werbung für eine Gaststätte so oft zu finden war, auf dem alles andere dargestellt ist, bloß keine Katze. Abgebildet ist ein älterer Herr, in der Kleidung des 18. oder 19. Jahrhunderts, der auf dem Rücken eine Kraxe trägt mit allerlei Holzwaren, vor allem aber hölzerne Löffel – soviele davon hat er dabei, dass er sie sogar neben einem Regenschirm in der Hand trägt. Aha, das ist also der Herr Katzlmacher, wahrscheinlich der Kochlöffellieferant des hiesigen Gastronomen! – Lieferant stimmt, für den Rest gibt’s eine bessere Erklärung:
Katzl leitet sich in diesem Fall von Gatzl ab, so wurden die hölzernen Suppen- und Schöpflöffel genannt, die in bis weit ins 19. Jahrhundert während der Wintermonate in den italienischen Bergdörfern etwa des Grödnertales geschnitzt und dann im Frühsommer von Hausierern über die Pässe getragen wurden, um sie mit anderen Gebrauchsgegenständen nördlich der Alpen zu verkaufen. Gatzl leitet sich dabei vom italienischen cazza (= Schöpflöffel) ab, das wiederum auf das spätlateinische cattia zurückgeht.
Von der Berufsbezeichnung zur Beleidigung
Als Claudio Zanuttigh Mitte der 1980er Jahre sein Lokal eröffnete war seine Schwiegermutter wenig begeistert vom Namen des Restaurants: »Um Himmels willen. Katzlmacher. So kannst du dein Lokal nicht nennen. Das ist ein Schimpfwort!« Tatsächlich hatte sich in Deutschland und Österreich Katzlmacher seit dem Ersten Weltkrieg als abschätzige Bezeichnung für Italiener eingebürgert – man sagte ihnen u. a. nach Katzen zu schlachten und zu verzehren. Nach 1945 verstärkte sich der Trend und der Begriff wurde auf Südländer, speziell auf Gastarbeiter aus Südeuropa (Italiener, Griechen, Spanier) übertragen. Mit der Wahl des verächtlichen Katzlmachers wurde von der männlich dominierten Arbeitswelt wohl die Sorge um den eignen Arbeitsplatz und eine gewisse Fremdenfeindlichkeit zum Ausdruck gebracht. Und auch die Geschichten von Südländern, die im Gastland heimische Frauen verführten, mit ihnen Kinder zeugten und dann auf Nimmerwiedersehen verschwanden, spielen hier eine Rolle. So steht cazzo im vulgär-italienischen für Penis und der Katzlmacher entspricht dem streunenden Straßenkater.
Heute ist der Begriff Katzlmacher schon fast verschwunden. Die Italiener sind in den Dörfern und Städten meist bestens integriert und an die fliegenden Händler von damals erinnert sich fast niemand mehr.
Wichtige Einflüsse von südlich der Alpen
Die Gatzl sind ein schöner Beweis dafür, dass eine kulturelle oder wirtschaftliche Beziehung zwischen den Bewohnern verschiedener Sprachregionen zu Wortentlehnungen führen, die durchaus intensive Spuren hinterlassen können. Zwischen Bayern und Italien waren dafür bei weitem nicht nur die Kraxenträger und Hausierer verantwortlich
So ist etwa der bayerische Barock (ital. barocco = schiefrund, merkwürdig) ohne den Einfluss aus Italien nicht denkbar. Im 17. und 18. Jahrhundert waren in Bayern zahlreiche italienische Architekten und Stuckateure beschäftigt, man denke z. B. an die Baumeister des Passauer Stephansdomes Carlo Lurago (1615 – 1684) und Giovanni Battista Carlone (1640 – 1721) oder die Hofbaumeister Agostino Barelli (1627 – 1697), Enrico Zuccarelli (1642 – 1724), oder Giovanni Antonio Viscardi (1645 – 1713). Letzterer wirkte etwa maßgeblich am Ausbau von Schloss Nymphenburg, der Kirche des Zisterzienser-Klosters Fürstenfeld oder dem Kloster Schäftlarn mit. Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern (1636 – 1679) heiratete 1652 die italienische Prinzessin Henriette Maria Adelaide von Savoyen (1636 – 1676), die natürlich ihr Gefolge, Diener, Köche oder Künstler mitbrachte. Die Münchner Hofgesellschaft wurde mit einer lebensfrohen italienischen Hofkultur konfrontiert und Musiker wie Giovanni Giacomo Porro (1590 – 1656) oder Ercole Bernabei (1622 – 1687) setzten Akzente. Kein Wunder also, dass man in besseren Kreisen des späten 18. Jahrhunderts in der Haupt- und Residenzstadt München entweder in Französisch oder Italienisch parlierte.
Aber auch auf dem Land finden sich im 18. und 19. Jahrhundert Familiennamen wie Ranella, Spiritini, Capellaro, Domani und Cramero. Zu Hunderten und Tausenden sind die oberitalienischen Wanderarbeiter jedes Jahr im frühen Sommer für eine ganze Saison zu Fuß und später per Bahn angereist. Sie halfen in der Landwirtschaft, waren als Maurer und Ziegelschlager oder dem Bahn- und Tunnelbau beschäftigt. Sie alle hinterließen viele Lehnwörter, die ins Bairische Eingang gefunden haben und nach Aussage des renommierten Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Anthony Rowley von der Kommission für Mundartforschung bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften für eine wahre Besonderheit in diesem Landstrich sorgen, während die französischen Einflüsse in ganz Deutschland nachweisbar sind.
Noch ein paar Beispiele gefällig? »Awanti, awanti! Sonst werd i granti!«, falls es auf der Baustelle zu langsam voran geht. Der Zamperl, ein niedlicher Hund, leitet sich von zampa (= Pfote) ab. Für Sänger und Musikanten ganz wichtig ist die Ari (= Melodie) und Maschkerer (ital. maschera, gesprochen mit s-k) sind maskierte Gestalten. Antifi (= Endivie), Limone (= Zitrone) oder Maroni können in einer Stranitzel (= Papiertüte, ital. cartoccio) verpackt werden, die ggf. mit einem Spagat (= Bindfaden, ital. spago) verschlossen werden muss, bevor man sie dem Gespusi (= Verlobte, ital. sposa) bringt, mit der man sich im Salettl (= kleiner Saal, ital. saletta) trifft. Und sogar der Krempel stammt vom oberitalienischen Dialektwort crompar (ital. comprare). – Natürlich finden sich umgekehrt auch in Italien deutsche Anleihen, etwa im trentinischen Dialekt: finferli (= Pfifferling), crighel (= Bierkrügel), emer (= Eimer), sniccel (Schnitzel) oder cuguluf (= Gugelhupf). Aber das ist wieder eine andere Geschichte.