damals für heute
» Aufm Berg oder im Tal «
Wastl Fanderl gründet 1958 die Sänger- und Musikantenzeitung
Text: Ernst Schusser
»Aufm Berg oder im Tal
singa tean mas überall
wer net guat singa ko
der is arm dro.«
So ist auf der Titelseite des Heftes 1 des ersten Jahrgangs der Sänger- und Musikantenzeitung (heute »zwiefach«) im Jahr 1958 zu lesen – und mit Notenbeigabe auch zu singen. Dieser weitum bekannte Vierzeiler, den Cesar Bresgen in seiner Liedersammlung Fein sein, beinander bleiben (Salzburg 1947) in der Reihung Pongauer Schnaderhüpfl nach dem Eingangsgsangl zweistimmig veröffentlichte, war für die Zeitungsmacher, besonders für Wastl Fanderl, richtungweisend: Es geht ihm vornehmlich um die Volksliedpflege, ihre angestrebte Verbreitung in Land und Stadt, ihren lebendigen und vielfältigen Gebrauch. Wie bei Vierzeilern üblich gibt es natürlich mehrere mögliche Singweisen – Fanderl hat eine Fassung aus dem Chiemgau schon 1943 in seinem Liederbüchl Hirankl-Horankl abgedruckt. Bis heute gibt es auch viele weitere Vierzeiler-Zusammenstellungen mit diesem Anfangsvers – der Impuls des Titelblattes ist also angekommen.
»Aufm Berg oder im Tal
da gibts an schena Hall,
stengan mia zam im Kroas,
singan, wias jeder woaß,
singa und juche schrein,
so muass halt sei!«
In der neuen Reihe »damals für heute« wollen wir ganz unterschiedlichen Dingen und Erscheinungen im Bereich der Volksmusik und Volksmusikpflege nachspüren: Was waren die Grundgedanken, die Ideen – und was ist heute davon übrig, was ist heute daraus geworden, was hat sich verändert, entwickelt, den heutigen Gegebenheiten angepasst – oder warum ist etwas verschwunden. Welche Personen, Lieder, Musikstücke, Tänze und Bräuche sind interessant. Gern erwarten wir Ihre Vorschläge!
Beginnen wir mit dieser Zeitung oder Zeitschrift, in der so viele Entwicklungen ganz nahe an der Zeit und den Menschen aufscheinen – der Sänger- und Musikantenzeitung und ihren ersten Heften, eingebettet in Zeit, Region, Kultur, Politik und Gesellschaft der späten 1950er Jahre.
»I sing, was i wui
und i tua, was mi gfreit
und i … ma gar nix um de ratschatn Leit.«
Dieses Gsangl in all seinen Varianten und auch der möglichen Deftigkeit ist vielen singerischen Leuten bekannt. Aber es besingt eben nur das halbe Lebensgefühl. Die andere Hälfte ist schon geprägt von äußeren Umständen und Einflüssen. Das gilt auch für die Volksmusik: Da ist zum einen das ganz persönliche Empfinden, das Gefühl und das Unbewusste – zum anderen auch das Umfeld und der Lebenslauf, der Zufall und die Planung und Überlegung. Diesen Zusammenhängen versuchen wir hier in Teilen nachzuspüren. Wir – das sind auch Sie, liebe Leserinnen und Leser: Unterstützen Sie uns, schreiben Sie uns Ihre Meinung, lassen Sie uns teilhaben an Ihrem Wissen, ihren Erkenntnissen und ihren Erinnerungen.
Es war im Frühjahr 1958, ungefähr 13 Jahre nach Beendigung des furchtbaren Zweiten Weltkrieges: Wastl Fanderl (1915 – 1991) war mit gut 40 Jahren voller Tatendrang: Die Volksmusikpflege war sein Herzensanliegen und diente ihm auch zur Finanzierung des Lebensunterhaltes seiner Familie. Wie bei vielen anderen Familien dieser Nachkriegszeit war Geld oftmals Mangelware, besonders bei Kulturschaffenden! – Damit haben wir schon einen Berührungspunkt mit der heutigen Situation in Corona-Zeiten.
Der Frühling und Sommer im Jahr 1958
An Ostern machen sich an die 1.000 vor allem junge Menschen in London auf den Weg und marschieren mit Unterstützung von Teilen der Bevölkerung in den Orten über 80 Km zur Atomforschungsanlage Aldermaston. Damit beginnen die Ostermärsche der Friedensbewegung gegen nukleare Aufrüstung in der Welt. Auch in deutschen Städten demonstrieren Zehntausende an Ostern gegen die Nutzung von Kernenergie zu militärischen Zwecken – der Bundestag hatte im März den Beschluss gefasst, dass die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet werden dürfe.
Im März trat in Straßburg erstmals das neugeschaffene und gewählte Europaparlament zusammen. Im Mai wurden auf der Hannover-Messe erstmals Musiktruhen mit der neuen Stereotechnik vorgestellt, die alsbald auch Anwendung für Schallplattenaufnahmen mit Volksmusik erlebte. Im Juni wird in Ungarn der ehemalige Ministerpräsident Nagy, der 1956 den Aufstand gegen die Unterdrückung Ungarns durch die Sowjetunion anführte, wegen »Hochverrat« hingerichtet. Brasilien wird in Schweden mit dem jungen Pelé Weltmeister im Fußball und löst damit Deutschland ab, das 1954 die Weltmeisterschaft gewann. In Dießen am Ammersee wird das erste SOS-Kinderdorf in der Bundesrepublik eingeweiht. Das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau tritt im Juli in Kraft: Damit wird u. a. das Alleinentscheidungsrecht des Mannes in der Ehe und sein Vorrecht bei Entscheidungen in der Kindererziehung außer Kraft gesetzt – erste Schritte hin zur vollständigen Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Volksmusik in den allgemeinen Medien
Hans Seidl (1907 – 1973) legt in den 1950er Jahren als Leiter der neuen Abteilung Volksmusik , unterstützt vom Kiem Pauli (1882 –1960), mit vielen neuen Tonaufnahmen von Gesangs- und Musikgruppen die Basis für das großartige Tonarchiv im Bayerischen Rundfunk – die Grundlage für die zunehmende Zahl von Volksmusiksendungen im Hörfunk – das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen. Neben überlieferten Liedern (im neuen dreistimmigen Satz) und Instrumentalmelodien (vor allem von Stubenmusik und Blasmusik) kommen auch manche textlichen und melodiösen Neuschöpfungen in der für den Rundfunk passenden Dauer (2 – 3 Minuten) zur Aufnahme und Sendung. Wastl Fanderl nimmt viele seiner neugemachten Lieder mit seinen Gesangsgruppen auf und wirkt wohl bei einzelnen Volksmusiksendungen mit, u. a. bei Veranstaltungsaufnahmen 1958 z. B. in Gunzenhausen, Deggendorf und München.
In Tageszeitungen erschienen 1958 lokale Ankündigungen und Berichte von konzertanten Volksmusikveranstaltungen, besonders auch mit Hinweis auf überregional bekannte Sänger, Musikanten und Sprecher. In Wochenzeitungen sind obendrein vereinzelt Liedabdrucke zum praktischen Singen zu finden. So ist Fanderl in den 1950er Jahren für den Almfried und die Altbayerische Heimatpost mit Liedabdrucken z. B. in der Rubrik Bayerisches Liederstandl vom Fanderl Wastl tätig, 1958 eher mit weniger Beiträgen. Die Lieder werden von manchen Leserinnen ausgeschnitten und in eigene Liederhefte geklebt, in denen sich teils auch handschriftliche Liedeintragungen finden.
Volksmusik in den Fachzeitschriften der Heimatpflege und Forschung
Das in kleiner Auflage für die Fachleute herausgegebene Bayerische Jahrbuch für Volkskunde berührt die Thematik »Volksmusik in Bayern« nur vereinzelt in meist wissenschaftlichen Abhandlungen. 1957 berichtet Robert Böck über Das Hutsingen im Dachauer Land (mit historischen Bezügen und Singtexten aus den 1950er Jahren) – als Geburtstagsbeitrag für Kiem Pauli, den »Altmeister bairischer Volksliedforschung und -pflege«. 1958 schreibt Felix Hoerburger über die Geschichte und Ausformung des Münchner Schäfflertanzes.
Eigentlich war die praktische Volksmusikpflege in den viermal jährlich erscheinenden Heften Schönere Heimat – Erbe und Gegenwart des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege in München kein bedeutendes Thema. Die Fachbeiträge dazu hielten sich in diesem zentralen Organ der Heimatpflege in Bayern in Grenzen. Aber 1957 wurde ein ganzes Heft dem Kiem Pauli zum 75. Geburtstag gewidmet. Im Jahr 1958 ging es vor allem um Denkmalpflege, Bauen, Mundart, Tracht, Theater, Lehrerausbildung und Heimatkunde in der Schule, Persönlichkeiten und ihr Wirken für die Heimatpflege, die Landeshauptstadt, religiöse Volkskunde. Kleinere Beiträge über z. B. einen niederbayerischen Tanz (mit Noten und Schrittfolgen!) blieben die Ausnahme ebenso wie Volkslied und Volksmusik in der Lehrerbildung (ohne Musikbeispiele). In der Abteilung Berichte ist über die Organisation des niederbayerischen Sing- und Musizierkreises zu lesen und über die Ostersingwoche am Wolfgangsee. Diese erlebnishafte Schilderung aus der Feder von Annette Thoma über die 25. Singwoche von Wastl Fanderl fällt auch aufgrund der emotionalen und persönlichen Formulierungen aus dem Rahmen der sonstigen Beiträge. Etwas formaler berichtet Annette Thoma über einen Baierischen Abend im Rahmen des Neunten Bayerischen Heimattages 1958 in München.
»Aufm Berg oder im Tal
Dirndl gibts nach der Wahl,
schneidig im Dirndlgwand,
fesch sans beinand.«
Schon im Heft 3/1958 der Schöneren Heimat weist Kiem Pauli auf die ersten Hefte der neugegründeten SMZ hin: Er gratuliert, würdigt die umfangreiche Arbeit, wiederholt seine schon mündlich den Zeitungsmachern gegebenen Ratschläge und nimmt angesichts seines Alters die Jüngeren in die Pflicht: »Jüngere Kräfte haben dafür zu sorgen, dass das Erreichte nicht ausstirbt und dass es erweitert wird. Ich habe deshalb die vom Fanderl Wastl mit Annette Thoma herausgegebene ›Sänger- und Musikantenzeitung‹ von ganzem Herzen begrüßt und wünsche ihr ein langes, gedeihliches Leben. […] Von ganzem Herzen wünsche ich Euch viele Abonnenten und recht viele gute Mitarbeiter.«
Nach der Einstellung der Zeitschrift Das deutsche Volkslied (Wien seit 1898) nach dem Zweiten Weltkrieg brachte das nachfolgende, ebenfalls in kleiner Auflage erscheinende Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes Orientierung für manche Persönlichkeiten der sich ausbreitenden alpenländisch-bayerischen Volksmusikpflege. Den wissenschaftlichen Fachartikeln folgten im hinteren Teil offizielle Berichte und kurze Besprechungen auch von bayerischen Notenheften, 1958 z. B. das Blaue Notenbüchl von Georg von Kaufmann.
Gedanken über eine neue Zeitung für Volksmusikpflege
Diese für manche unbefriedigende Situation brachte Gedankenspiele hervor, ob denn nicht eine aktuelle Nachrichtenpost für die Volksmusikpraxis, ihre Liebhaber und ihr Publikum möglich wäre.
Wastl Fanderl erzählte mir auf Nachfrage 1984 anlässlich der Erstellung des Registerbandes der Jahrgänge 1 – 25 der Sänger- und Musikantenzeitung mehrmals, dass er in den 1950er Jahren zunehmend das Fehlen einer einfachen und leicht zugänglichen Fachzeitung für die immer mehr um sich greifende Volksmusikpflege im südlichen Oberbayern und den angrenzenden Gebieten vermisste. Auch für seine Planungen wäre ein solches Mittelding zwischen Zeitung und Fachzeitschrift mit Liedern, auch Musikstücken, Nachrichten und dem einen oder anderen verständlich geschriebenen Beitrag über »die Volksmusik« erstrebenswert.
»Aufm Berg oder im Tal
siebn san ma an da Zahl,
kimmt no da … dazua,
na san ma gnua.«
Ab 1956/1957 gab es wohl konkrete Überlegungen, wie man ein solches Medium neu gestalten könnte. Fanderl erinnerte sich an Gespräche in seinem engeren Umfeld, z. B. mit Annette Thoma (1886 – 1974), Georg von Kaufmann (1907 – 1972), natürlich mit seiner Frau Lisl, Freunden und der Suche nach (finanziellen) Helfern und Partnern. Bei Singwochen 1957 wurden die Gedanken dann zunehmend konkreter. Eine Befragung der Teilnehmer der Ostersingwoche 1958 am Wolfgangsee brachte den letzten positiven Impuls für eine Zweimonatsschrift für Volksmusikpflege. Die Singwochenteilnehmer sammelten das Startgeld von 572,60 DM, wichtiger noch: Viele versprachen, die neue Zeitschrift zu abonnieren und dafür im Freundeskreis Werbung zu machen. Das Ehepaar Fanderl, Annette Thoma, Georg von Kaufmann, Rosl Brandmayer, Tobi Reiser u. a. machten sich an die Gestaltung der ersten drei Hefte, die dann wohl noch im Juni 1958 – produziert vom Bayerischen Landwirtschaftsverlag in München – bei den anfangs gut 300 Abonnenten ankamen. Schon erreichte die Sänger- und Musikantenzeitung mehr Leser als die einschlägigen wissenschaftlichen Jahrbücher und Zeitschriften.
»Aufm Berg oder im Tal
oda im Wirtshaussaal,
landlerisch tanz ma gern.
Auf, lassts eich hörn!«
Einige Beiträge der Hefte 1 – 3 haben wir für die Leserinnen und Leser neu aufbereitet, dazu auch Texte zur Entstehung der SMZ. Sie sind in der digitalen Ausgabe der »zwiefach« nachzulesen oder können als Kopie beim Autor angefordert werden (Ernst Schusser, Friedrich-Jahn-Str. 3, 83052 Bruckmühl, Fax +49 8062 7767505, ernst.schusser@heimatpfleger.bayern):
- Redensarten und Volksweisheiten aus der Sammlung des Kiem Pauli, wie z. B.: »Wichtige Ämter muass ma Leit gebm, net de Leit Ämter«,
- Kleine Anleitung zum Ostereier-Malen, von Rosl Brandmayer (Rosenheim),
- Singen und Klingen am Wolfgangsee, Bericht über die Ostersingwoche 1958
In Heft 1 begrüßt die SMZ ihre Leser in Fanderl’scher Art: »Nun bin ich da und bitt recht schön um freundliche Aufnahme in Euer Haus! Viele von Euch haben seit Langem nach mir gefragt, spät komme ich, aber nicht zu spät, um Freund und Helfer sein zu können, Ratgeber und Berichter, kurz EURE ZEITUNG. Gaben will ich Euch bringen, rare Spielstückl und Volkslieder, Kinderlieder, Reime, Sprüche, Inschriften, Spiele, halt alles, was Euer Herz erfreut und wert ist, aufgeschrieben und hineingetragen zu werden ins Land. Aufbauarbeit, die bis jetzt im Bereich der Volksmusik geleistet wurde, erhalten und ausdehnen, das ist unser aller Ziel. Meine spezielle Aufgabe aber soll es sein, alle zusammenzuführen und zu verbinden, die dieser Sache ihre Kraft und Liebe widmen: die Gelehrten mit dem einfachen Volk, die Alten mit den Jungen, alle Stände und Verbände ohne Unterschied…«
Das könnte man inhaltlich auch für die Gegenwart so formulieren und immer wieder darüber nachdenken. Es ging auch darum, die Zeitschrift vom Interesse der Leser her zu denken. Am Schluss dieses Vorwortes wird die Leserschaft eingeladen, selbst an der Gestaltung der SMZ mitzuwirken und auch Wünsche und Themen mitzuteilen. Ein Wunsch aus Leserkreisen war, möglichst alle Volksmusikveranstaltungen anzukündigen! – Positiv-emotionale Leserbeteiligung galt damals und gilt auch für heute – besonders, wenn ein Medienprodukt nachhaltig erfolgreich sein will. Ich freue mich darauf in der Rubrik »damals für heute«.