Von Günzlhofen nach Tschurangrati
Vier Jahrzehnte gemeinsam auf der Bühne: Gerhard Polt & die Well-Brüder Michael, Stofferl und Karli
Sieben Auftritte in fünfzehn Monaten: Ungläubig mussten Gerhard Polt und die drei Brüder Stofferl, Michael und Karli Well dabei zusehen, wie seit März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie ein Termin nach dem anderen aus dem Kalender gefallen war. So selten haben sie in ihrer gesamten Bühnenkarriere noch nie gespielt. Dabei gäbe es derzeit einen schönen Grund zur Freude: vierzig gemeinsame Bühnenjahre nämlich. Das dazugehörige Jubiläumsalbum ist im vergangenen Herbst erschienen, das Bühnenprogramm muss wohl noch ein bisserl warten, bevor es wieder regelmäßig in vollbesetzten Theatern, Stadthallen, Schulturnhallen oder Bierzelten gezeigt werden kann.
Text: Claudia Pichler Fotos: Carla Meurer, Hans-Peter Hösl, Thomas Dashuber, Sebastian Schmidinger, Oda Sternberg
Mitte der 1970er Jahre findet Gerhard Polt in München allmählich seinen Weg auf die Bühne. Es ist nicht so, dass er ihn gesucht hätte, vielmehr wird er von Freunden und Förderern wie Regisseur und späterer Mitautor Hanns Christian Müller, Schauspielerin Gisela Schneeberger oder Hörspielautor Jürgen Geers sowie dem ehemaligen Münchner Kulturreferenten Jürgen Kolbe sachte geschubst. Polt schlittert hinein in die Welt von Kabarett und Satire, wobei »schlittern« viel zu dynamisch klingt für den bedächtigen, gemütlichen Polt. Er schneckt viel lieber. Sein Tempo ist persönlich wie künstlerisch gemächlich, seine satirischen Angriffe steigern sich stets behutsam, aber gnadenlos.
1975 steht Polt in der Kleinen Nachtrevue im Münchner Theater Kleine Freiheit zum ersten Mal auf der Bühne, bald schon spielt er auf Einladung des Oberspielleiters und späteren Intendanten Dieter Dorn einige Solonummern im Werkraum der Münchner Kammerspiele. Jetzt wird aus dem Zufall die Regel, aus der Ahnungslosigkeit wird Gewissheit. Die Stadt München zeichnet Polt mit dem Kulturförderpreis aus und überreicht ihm fünftausend Mark. Für ihn ein handfester Beleg, dass das Bühnendasein sein Beruf werden kann.
Kinder- und Musiksegen aus Günzelhofen
Zeitgleich im beschaulichen Günzlhofen bei Oberschweinbach im Landkreis Fürstenfeldbruck: Aus der Musikerfamilie Well formiert sich ein nonkonformes, anarchistisches Brüder-Trio. Hans, Michael und Stofferl Well gründen die Biermösl Blosn. Der Vater der Großfamilie ist Lehrer im Ort und damit zuständig für die musikalische Gestaltung der Feiertage im Jahr. Er erzieht die Schülerschaft musikalisch und macht dasselbe mit seinen eigenen fünfzehn Kindern. Von klein auf lernen die Geschwister mehrstimmigen Gesang, Instrumente und vor allem gelungene Bühnenauftritte. Hermann Well hat ein Gespür für Entertainment, er setzt jedes Kind gekonnt in Szene, schreibt Sketche und Gedichte, arrangiert Abende dramaturgisch spannend. Kostbare Fähigkeiten, die später den Berufsmusikern, also der Biermösl Blosn beziehungsweise den Well-Brüdern sowie den drei Wellküren-Schwestern wertvolle Hilfe sein werden.
Die Brüder Hans, Michael und Stofferl merken allerdings schnell, dass das traditionelle Liedgut der Volksmusik eine heile Welt vorgaukelt, eine Idylle vom Dorfleben, von Natur und Heimat, die sie so nicht mehr vorfinden. Vielmehr beschäftigen die rebellischen Burschen die Zerstörung von Umwelt, die Abwanderung vom Land hin zur Stadt und die brisanten Themen der hochpolitischen Zeit, Aufrüstung, Atompolitik oder Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Sie transportieren die vertrauten Lieder in ihre Jetztzeit, verpassen Altbewährtem radikale Texte und neue musikalische Einflüsse. Besonders die Gstanzl-Form ermöglicht jederzeit scharfe Kommentare zur Tagespolitik, schnell, spontan und auf den Punkt. So bringt die junge Biermösl Blosn politische Überzeugungen im traditionellen Musikgewand und in der Sprache der Leute – und macht schnell überregional von sich reden.