Eine Sprache für die Harmonika: Max Rosenzopf, sein musikalisches Leben – und seine Idee der Griffschrift
Vor dem Haus von Max Rosenzopf in der Steiermark steht ein ganzes Arsenal an alten Wohnwagen und Campingbussen – alles Fahrzeuge, mit denen Rosenzopf jahrzehntelang durch die Gegend gereist ist, von Seminar zu Seminar. Das hat er mittlerweile aufgeben müssen; das Leben unterwegs ist doch recht anstrengend, vor allem, wenn man – wie Rosenzopf – schon vor ein paar Jahren seinen 80. Geburtstag feiern konnte. Es gibt eine Menge zu erzählen. Aus einem reichen musikalischen Leben, das nicht immer einfach war.
Text, Interview und Fotos: Eva Geiger-Haslbeck
Lieber Herr Rosenzopf, Sie kommen aus Geistthal in der Weststeiermark – da bin ich gerade durchgefahren. Wunderschön ist es dort. Und auch die Volksmusik hat eine lange Tradition in Geistthal. Wie sind Sie zur Musik gekommen?
MR: Wie soll ich sagen – mein Vater hätte eigentlich gern selbst musiziert, hat aber nicht einmal wirklich in die Schule gehen können. Als sein Vater starb, musste er sich um den Hof kümmern, und mit der Musik wurde es nichts. Das, was ihm selbst verwehrt geblieben war, wollte er dann mir möglich machen. Er war also daran »schuld«, dass ich zu musizieren begonnen habe.
Die Musikalität selbst habe ich wahrscheinlich von meiner Großmutter. Als Kind bin ich bei ihr auf dem Kachelofen gesessen mit dem Grammofon und habe Platten aufgelegt. Bei meiner Großmutter wurde jeden Sonntag getanzt; meinhat der Dorfjugend in ihrer Stube das Tanzen gelehrt. Nur in der offenen Zeit, also niemals in der Fastenzeit. In der Fastenzeit hat sie das Gewicht vom Tonarm verschwinden lassen, so konnte man die Nadel nicht mehr beschweren und spielen. Da war sie sehr streng (lacht).
Meine Großmutter hat keinen Tanz in Geistthal ausgelassen. Es gab nicht so viele Veranstaltungen, aber sie war überall. Was ich nie vergessen werde: Am Sonntag in der Früh hat sie vom Tanz am Vorabend erzählt. »Das Tanzen war so herrlich, so lustig, man ist geschwebt.« Richtig geschwärmt hat sie. Beim nächsten Mal kam sie heim und hatte einen Grant in der Früh. »Man hat die Füße nicht vom Tanzboden weggebracht«, hat sie dann gesagt. Das war im gleichen Gasthaus gewesen, der gleiche Tanzboden, nur andere Musik. Da ist mir viel später erst wirklich bewusst geworden: Wenn der Rhythmus in der Volksmusik nicht stimmt, ist’s auch nicht lustig zu tanzen. Ich habe schon Volksmusikgruppen gehört, wo der Harmonikaspieler wirklich verheerend gespielt hat, die Leute aber trotzdem getanzt haben. Wissen Sie, was ich da gesehen habe? Die Tänzer haben die Melodie gesungen und auf die Musik gar nicht gehört. So ist das Tanzen wieder gut gegangen.
Dann hat Sie eigentlich der Tanz für die Volksmusik »infiziert«. Und die erste Harmonika? Woher kam die?
MR: Mein Vater kam früher aus dem Krieg heim, weil er Invalide war – er hat an der linken Hand fast alle Finger verloren, schon als Kind. Geistthal war der Ort, durch den die Russen durchgezogen sind, und er hat ein bisschen die slawische Sprache verstanden. So hat er bei den Russen eine Harmonika eingehandelt. Mit der hat damals niemand etwas anfangen können, denn es hat sich, wie ich später herausgefunden habe, um ein russisches Banjo gehandelt. Die Russen waren ja sehr fortschrittlich beim Entwickeln der chromatischen Harmonika, die hat es schon vor 1880 gegeben, wo in Wien erst das Akkordeon und die Schrammelharmonika entstanden sind. Irgendjemand hat jedenfalls so ein Instrument mitgehabt, das mein Vater dann getauscht hat. Und natürlich hat er dann geschaut, dass er das Instrument weiterhandelt – wie es gegangen ist, weiß ich nicht mehr – und dann hat er mir eine ganz kleine, dreireihige Strasser mitgebracht. Acht Jahre war ich damals alt. Nun war die Frage: Wo kann man lernen? Es hat bei uns einen Bauern gegeben, der hat mir mit Ach und Krach den Schneewalzer beigebracht, nach Gehör. Aber ich glaube, nur den ersten Teil.
Ein Anfang war jedenfalls gemacht ...
Zu meinem Glück ist bald darauf mein Halbonkel aus der Gefangenschaft zurückgekommen, der hat die Steirische gespielt. Das war dann mein zweiter Lehrer, da ging es schon ein bisschen mehr voran.
Durch Zufall hat mein Vater dann in der Weststeirischen Volkszeitung gelesen: »Einschreibung in die Musikschule Voitsberg«, und drunter stand: »Einschreibung in die Bürgerschule Voitsberg«. Er hat geglaubt, dass wenn er mich in die Bürgerschule einschreibt, die Musikschule automatisch dabei ist. Ich hab eine Monatskarte bekommen für die 25 Kilometer zwischen Gailstal und Voigtsberg, die damals schon 50 Schilling gekostet hat, und dann hat sich herausgestellt, dass ich die Musikschule extra zahlen musste. Ich kann mich erinnern, die Mama war wahnsinnig aus dem Häusl – der Bub kostet so viel Geld! Aber ich bin gegangen, mit zwölf Jahren von der sechsten Volksschule in die erste Hauptschule, und auch in die Musikschule.
Natürlich hab ich nur eine halbe Stunde Musikunterricht nehmen können, mehr hätten wir nie zahlen können. Mein Musiklehrer muss aber irgendwie bemerkt haben, dass ich nicht ungeschickt bin, und hat mich sehr gefördert. Zwei Jahre habe ich die Schule besucht, bis ich, mit 14, einen Beruf lernen musste. Damals kam bei uns die Elektrifizierung. So habe ich mich entschlossen, Elektriker zu werden, habe den Lehrplatz gekriegt und bin nach Voitsberg gezogen. Dann hab ich das Pech gehabt, dass die beiden Chefs der Firma sich nie einig waren. Habe ich das gemacht, was der eine gesagt hatte, habe ich vom anderen eins auf den Deckel bekommen und umgekehrt. Nach einem Dreivierteljahr habe ich mich eingesperrt in meinem Zimmer und bin einfach nicht mehr hingegangen.
Von dem Moment an – ich war noch nicht ganz 15 Jahre alt – habe ich dann sämtliche Berufe gemacht. Hilfsarbeiter, Holzknecht, Wegmacher – da war alles dabei, was so kam. Die Mama war unwahrscheinlich verärgert, hat der Bub so viel Geld gekostet und bricht die Ausbildung ab! Und als Musiker galt man damals nichts. Ein Musiker war ein Lump, kein Beruf.
- Wie kam es denn dazu, dass die Musik dennoch zum Beruf wurde?
Ich bin wieder in die Musikschule gegangen. Bis zum 20. Lebensjahr habe ich deswegen nie Geld gehabt. Alles, was ich verdient habe, ist in die Ausbildung geflossen. Mein Lehrer hat darauf bestanden, dass ich alle vier Arten der Harmonika lernen soll. Ich habe dazu seine »alten« Instrumente übernommen, wenn er sich selbst neue gekauft hat.
Nach der Steirischen habe ich das Knopfgriffakkordeon, also das Banjo, gelernt, dann das Tastenakkordeon, dann wieder die Steirische – da hatte ich mittlerweile 20 Stückl vergessen. Dann hab ich das diatonische Clubmodell bekommen. Darüber habe ich auch die Griffschrift kennengelernt. Die Varianten von Holzschuh, Helbling und so weiter – das war ja alles schon da.
Ich kann mich noch gut erinnern: Im September bin ich 17 geworden, und im Juli war ich Holz schlagen – da hat mich meine Schwester aus dem Wald geholt. Ich soll unbedingt sofort heimkommen nach Voitsberg, der Lehrer fährt mit mir nach Ligist, da wird eine Musikschule gegründet, die brauchen einen Lehrer für Steirische Harmonika. Ich hatte die ganzen Hände mit Pech voll, der Vater hat mich mit dem Motorrad nach Voitsberg gefahren, dann bin ich weiter mit dem Zug bis nach Ligist zum Musikschuldirektor. Dort hab ich vorspielen müssen und die Stelle bekommen. Ich hatte fünf oder sechs Harmonikaschüler, für die hab ich gelebt. Ich war zu stolz, um wieder heimzufahren. Ich hab einen Schüler gratis unterrichtet in einem Gasthaus, dort habe ich dann schlafen können. Zum Frühstück gab’s einen Kaffee und ein Kipferl, zum Abendessen auch, mehr nicht – das hätt ich mir nicht leisten können [lacht].
- Mit 17 Jahren vom Holzarbeiter zum Musiklehrer – das ist schon eine einschneidende Veränderung!
Ich war noch unheimlich jung und unerfahren. Im selben Jahr, 1955, bin ich auch noch nach Bärnbach gekommen als Lehrer. Dort wurde die Volksmusik sehr geschätzt, was lang nicht überall so war. Was mich aber sehr gekränkt hat als junger Mensch: Ich bin ja vom Land gekommen, war sehr schüchtern, hab in der Schule unterrichtet – und dann sind da die Lehrer gekommen und haben mich nicht einmal gegrüßt. Ich habe »nur« die Steirische unterrichtet, hatte keine akademische Ausbildung, das galt alles nichts.
In Ligist und in Bärnbach gab es einen Lehrer für Steirische und Akkordeon, der krank wurde. Man hat Ersatz gebraucht – und der Musikschuldirektor hat gewusst, dass ich auch Akkordeon unterrichte. So hab ich den ersten Akkordeonschüler bekommen. Und mein Ehrgeiz war geweckt: Ich wollte es den anderen zeigen.
Man hat ja damals nur Mundpropaganda gehabt, das waren die Vorspielstunden. Da hat einer die Möglichkeit gehabt, zu zeigen, was er kann. Das hab ich in Bärnbach und in Ligist gemacht. Nach zwei Jahren haben die anderen Lehrer keine Schüler mehr gehabt, die waren alle bei mir. Ich will mich da nicht beweihräuchern, aber es war so [lacht].
- Das klingt nach einem rasanten Aufstieg!
Ich wurde trotzdem lange nicht akzeptiert. Das lag an meinem volksmusikalischen Hintergrund. Die Steirische wurde auch nicht akzeptiert. Ich habe alle vier Instrumente im Laufe der Zeit unterrichtet, war in Trossingen bei den Osterarbeitswochen, hatte unter anderem dadurch viel Literatur für das Clubmodell. Aber das war immer noch zu wenig. Bis die Volksmusik anerkannt wurde, hat das ja 20 Jahre gedauert, erst um 1975/76 herum wurde das eine Sache. Da war ich schon verheiratet und hatte Kinder. Ich habe in Graz in der Landesmusikschule begonnen, Fagott zu lernen. Nach einem Jahr machte ich die Aufnahmeprüfung an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst, wie das damals geheißen hat. Ich wurde angenommen und war einer der ältesten Schüler. Das war meine schönste Zeit. Ich war vier Jahre beim Hochschulorchester, das war wirklich wunderbar. Und ab dem Moment haben sie mich anerkennen müssen, weil ich ja beim Kammerorchester als einziger Fagottist mitwirkte [lacht].
- Wo blieb denn die Volksmusik bei diesem Ausflug in die Klassik?
Für die Volksmusik habe ich mich immer interessiert. Prof. Walter Deutsch hat ja in Wien den Lehrstuhl gegründet für akademische Volkskunde. Er hat dann, damit er die Volksmusik kennenlernt, Seminare veranstaltet, Wochenendseminare in jedem Bundesland. Die habe ich natürlich besucht, ich war ständig unterwegs. Draußen stehen noch die alten Campingautos, mit denen ich unterwegs war. In Leibnitz in der Südsteiermark habe ich beim Seminar auf Schloss Seggau die Möglichkeit bekommen, meinen ersten Vortrag zu halten. Und zwar über die Harmonika und das Steirische Hackbrett. Das werd ich nie vergessen, das war ein so aufregender Moment.
Ich habe nur eine Stunde Zeit gehabt für beide Instrumente, hab viele Details ausgelassen, weil ich dachte: Das wissen die eh, das sind ja alles studierte Leute. Eineinhalb Stunden haben die mich nachher zerlegt!
Aber dort habe ich den Alois Lischka kennengelernt, zuständig für die Volkskultur in Oberösterreich. Er hat meinen Vortrag gehört und direkt angeregt, ein Seminar zu machen. Ein Seminar für Steirische Harmonika.
- Das war ja damals noch nichts Gängiges, so ein Seminar.
Ich hab abgewunken – und dann jede Woche einen Brief bekommen. Er hat nicht lockergelassen. Mit seiner Linzer Volksmusik hat er damals schon Übungsabende gehabt am Bauernhof, und weil er keine Ruhe gegeben hat, hab ich mir gedacht: Es ist eh egal, fahren wir halt mal ein Wochenende rauf. Am Freitag in der Früh bin ich losgefahren nach Haibach ob der Donau. Da war dann das erste Seminar für Steirische Harmonika, 1972. Ich habe dort sechs oder sieben Schüler gehabt, die waren mit Begeisterung dabei und haben gestaunt, dass ich ihnen einfach das zeige, was ich selber kann. Das erste Seminar kann man wirklich nicht beschreiben. In Haibach hats das Fuchsbachwasser gegeben, den dortigen Schnaps – es ist lustig zugegangen, manchmal zu lustig. Gelernt wurde trotzdem.
Nur, was ist passiert? – Ich bin am Sonntag um acht heimgekommen, am Montag hab ich den ersten Anruf gekriegt. »Du Max, hilf mir. Ich hab von dem Stückl, das ich bei dir gelernt hab, den zweiten Teil vergessen. Sing mir das vor, bitte.« Dann hab ich halt am Telefon vorgesungen. Und es blieb nicht bei einem Anruf.
Für mich war die Sache mit dem Seminar trotzdem zunächst erledigt. Es war eine Mordsgaudi, mehr nicht. Aber es hat keinen Monat gedauert, und ich hab von Lischka schon wieder einen Brief gekriegt. Die Leute wollten eine Fortsetzung haben. Da hab ich mir dann gesagt: Wenn das so ist, muss ich den Leuten etwas mitgeben, das sie daheim machen können. Das war die Geburtsstunde der Griffschrift. Wenn es damals schon etwas Vergleichbares gegeben hätte, hätte ich das nicht gemacht. Aber es gab nichts.
- Was war die Grundlage für die Griffschrift?
Für das Clubmodell hatte ich ja, wie gesagt, schon einiges gesammelt. Dann gab es Ansätze von Schittenhelm, Holzschuh, einigen anderen. Ich habe eine Sammlung von über 20 verschiedenen Griffschriftarten, von der Lautentabulatur aus dem 15. Jahrhundert bis heute.
Ich hab dann versucht, das für mich leichteste, verständlichste – das Hälbling-System – für die dreireihige Steirische umzubauen. Im Prinzip war das ähnlich wie beim Clubmodell, nur dass eben keine Halbtöne drin sind – also schon, die, die wir in der Durtonleiter brauchen, aber eben keine zusätzlichen. Das System hab ich dann erweitert. Erfunden habe ich gar nichts, das habe ich auch nie behauptet.
Gleichzeitig habe ich auch eine Schule fürs Steirische Hackbrett geschrieben, weil ich der Meinung bin, dass die zwei Instrumente – besonders in der Steiermark – zusammengehören. Eine Bemerkung am Rande: Es hat sich bisher noch niemand logisch die Tonanordnung der diatonischen Harmonika erklärt. Wissen Sie, was ich glaube, was hier das Vorbild war? Das Hackbrett. Nicht das chromatische, das diatonische.
Wenn man das diatonische Hackbrett mit dem Quintensteg anschaut, dann ist hier C-Dur [zeigt auf der Tischdecke die Saiten an]. C-E. G-H. Wenn ich bei der Steirischen zuschiebe, habe ich den C-Dur-Dreiklang, das G fehlt natürlich, das ist auf dem Hackbrett nicht möglich. Und wenn ich aufziehe, hab ich die Dominante. Das, glaube ich, ist die Vorlage für die Belegung der Steirischen. Irgendwo muss das ja herkommen. Das Hackbrett kann man zurückverfolgen bis ins 11. Jahrhundert. Wenn ich das bei den Vorträgen gesagt hab, bin ich meistens ausgelacht worden.
- Das klingt nach einer wirklichen kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Harmonika.
Oh ja. Bei uns ist ja diese Holzsteirermusik seit 1880 nachweislich bekannt. Vorher schon hat’s das Hitzendorfer Altsteirertrio gegeben mit Harmonika, Hackbrett und Bassgeige. Und wenn man jetzt noch weiter zurückgeht zur Knaffl-Handschrift, die Erzherzog Johann quasi ins Leben gerufen hat, kennt man ähnliche Besetzungen aus dem frühen 19. Jahrhundert. Der Fohnsdorfer Kommunalverwalter Knaffl, geborener Klagenfurter, hatte den Auftrag, alles, was im Volk passierte, aufzuzeichnen. Dabei war er einer von den Fleißigsten. In Graz im Landesarchiv gibt es zwei Bücher mit originalen Handschriften, die 1813 veröffentlicht wurden.
Diese Besetzung, ob jetzt in Fohnsdorf, in der Ober-, Unter- oder Südoststeiermark oder in Bayern, war immer: zwei Geigen, ein Hackbrett und ein Bassettl.
Das Bassettl hat ja der Vater von W. A. Mozart, Leopold Mozart, sehr viel gespielt und er hat viel dafür komponiert. Interessant ist: In der Steiermark ist kein einziges zu finden, aber sehr wohl in Salzburg im Museum. Und warum wurde das Bassettl in der Volksmusik gespielt? Es hat ja früher schon die großen Bauernhochzeiten gegeben. Mit den Bassgeigen hat man da keinen Platz gehabt, aber mit einem Bassettl, das nur ein bisschen größer als ein Cello ist und bloß drei Seiten hat, ging das. Wichtig war nur: Tonika, Dominante, Subdominante. Ab und zu die zweite Stufe, Moll, die hat man dann gegriffen. Aus dieser Knaffl-Handschrift, aus dieser Besetzung, ist die Altsteirermusik entstanden. Das sind erste und zweite Geige, Bratsche, Steirisches Hackbrett, Harmonika, Bassgeige. Alles gestrichen, nicht gezupft.
Das Interessante war: Die haben Tanzmusik gespielt. Die erste Geige hat die erste Stimme gespielt, die Harmonika die zweite, und die zweite Geige und die Bratsche haben den Nachschlag gespielt – das war ja sehr wichtig zum Tanzen. Das ist so seit ungefähr 1880 bekannt. Ich hab nachgeschaut, in Bayern ist es die gleiche Besetzung. Aber nicht das chromatische Hackbrett (das hat ja erst Tobi Reiser ins Leben gerufen), sondern das diatonische. So viel zur Verwandtschaft und gemeinsamen Geschichte der beiden Instrumente. Das ist schon sehr interessant!
- Das ist es! Wie ging es dann weiter mit der Griffschrift?
Nun, ich habe irgendwie schon geahnt, dass es Schwierigkeiten geben würde mit der Griffschrift. Durch Alois Lischka, der mit seiner Linzer Hausmusik schon damals die Volksmusikwoche in Riedenburg besucht hat, bin ich 1973 oder 1974 auch nach Riedenburg gekommen. Dort gab es schnell großes Interesse für die Griffschrift und den ersten Kontakt zum Preissler Verlag, dessen früherer Chef Josef Preissler die Volksmusikwoche vor über 50 Jahren mitbegründet hat. Als ich mein Manuskript also fertig hatte, ein zusammengepicktes Notenheftl, nach dem ich unterrichtet habe, hat mir Alois Lischka empfohlen, das dem Josef Preissler in die Hände zu geben.
- … der es ja, wie wir wissen, auch gedruckt hat. In hoher Auflage!
Ich wollte eigentlich in Österreich drucken lassen, habe aber niemanden gefunden, der es machen wollte. Also hab ich es verschenkt, an den Preissler Verlag. Ich hatte versprochen, dass die Musikschulen in Österreich die Griffschrift nutzen würden – das ist natürlich nicht passiert. Aber es hat sich trotzdem sehr schnell entwickelt. Ich musste ständig nach München fahren und korrigieren und ergänzen. Das war sozusagen die Geburtsstunde,1975. Aber wenn ich die Schule selber gedruckt hätte, wäre ich heute Millionär [lacht]. Gerade die Schule und das erste Heftl sind tausendfach verkauft worden.
- Die Griffschrift wurde ja sehr kritisch betrachtet, zu Anfang. Woran lag das?
Zuerst haben alle darüber gelacht – es konnte ja keiner glauben, dass das so ein Erfolg wird.
Ich habe irgendwann eine Einladung bekommen in die Grazer Burg, wo die Landesregierung sitzt, zu einer Sitzung über Volksmusik. Vor mir saßen dort dann sechs oder sieben Leute, die alle gegen die Griffschrift waren. Sie haben von mir verlangt, dass die Schule eingestampft wird. Weil es Jugendvertrottelung sei. Ich saß ihnen ganz alleine gegenüber, damals noch ein recht junger Mann, vielleicht 40 Jahre alt, und habe die Welt nicht mehr verstanden.
Beim Volksmusikseminar in Rosenheim, dort habe ich 14, 15 Jahre lang unterrichtet, kriegte ich einen Anruf vom Preissler, ob er runterkommen könne, es sei etwas Schreckliches passiert. Ich hab gesagt, ich hab bis sieben Unterricht, kannst jederzeit kommen, treffen wir uns im Gasthaus. Dann kam er und erzählte mir, dass zwei Leute aus Graz bei ihm gewesen waren und verlangt hatten, dass die Schulen eingestampft werden. Das war der Höhepunkt. Rechtlich haben sie natürlich nichts in der Hand gehabt, sie haben das einfach verlangt. Weil die Jugend verblödet und nicht mehr richtig Noten lesen lernen würde.
Und es stimmt schon, ich hab die Schule sehr einfach gemacht. Es steht ja drin: für Selbstunterricht geeignet. Weil ich der Meinung war, dass ein Bauernknecht oben, irgendwo auf der Höh, mit ein bissl Begabung und Willen alleine weiterkommt auf dem Instrument. Das hat funktioniert; ich hätte es nicht drucken lassen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass es funktioniert! Die Griffschrift hatte ich ja schon im Unterricht immer wieder eingesetzt.
- Die Motivation war also, die Stücke einfach, aber originalgetreu aufzuzeichnen?
Ja. Dazu eine Geschichte: 1954 bin ich nach Ligist gekommen. 1956 oder 1957 hab ich mit meiner Familie einen Ausflug gemacht, das ist ja die Schilcherweingegend. Wir sind an einer Buschenschänke vorbeigekommen und haben dort einen Harmonikaspieler gehört. In Gottes Namen, denk ich mir, was spielt denn der ’zam. Ein Teil von dem Stückl, den nächsten von dem – komplett durcheinander. Dann komm ich hin – und was glauben Sie, wie ich blöd geschaut hab: Das war ein Schüler von mir. Der war zwei Jahre in der Schweiz gewesen, wieder zurückgekommen und dann hat er alles verdreht. Das war der Grund, warum ich begonnen habe, die Stücke niederzuschreiben, zunächst im Violinschlüssel. Dass es einmal so bleibt, wie es ist. Und diese Stücke habe ich dann nach und nach in Griffschrift übertragen. Sofern das möglich war – es musste immer auf der dreireihigen Steirischen umsetzbar sein. Ohne Zusatztöne. Heut geht das ja alles mit dem Computer. Ich hab damals noch die Harmonika umgehängt und probiert. Ich schreibe alles von Hand. Aber ich gebe nichts mehr heraus – das lohnt sich nicht mehr.
Griffschriften und Noten sammle ich schon seit meinem 15., 16., Lebensjahr, ich hab wahnsinnig viele Noten. Die Leute wissen, dass ich das sammle, und wenn sie nicht wissen, wo sie was hinbringen sollen, bringen sie’s zu mir. Und im Laufe der Jahre habe ich 26 oder 27 Hefte herausgegeben, vielleicht noch mehr, auch Schulen für Gitarre, für Bassgeige, Partituren für vier Instrumente, die Knaffl-Handschrift in der Originalbesetzung und der Fagottbesetzung, kleine Menuette, kleine Kostbarkeiten. Das ist alles im Eigenverlag erschienen.
- Bei so viel theoretischer Auseinandersetzung mit der Volksmusik: Praktisch musiziert haben Sie natürlich auch. In welchen Besetzungen?
Natürlich solistisch mit der Harmonika – und dann gab es die Woazschälmusi. Wenn der Kukuruz, der Mais, geerntet wurde, sind bei den Bauern alle Nachbarn eingeladen worden. In der ausgeräumten Stube haben alle zusammen den Mais geschält. Nach dem Schälen hat’s einen Tee gegeben, das war ja im Herbst, und dann ist getanzt worden. Bei kleinen Bauern hat die Harmonika alleine gespielt, beim größeren Bauern war man zu zweit, mit Sauzechn, Klarinette, und beim großen Bauer, der hat schon drei Musikanten holen müssen. Die Woazschälmusi hat sehr lange gebraucht, bis die richtige Besetzung beieinander war. Die erste Besetzung war das Altsteirertrio. Dann gab es die Mooskirchner-Besetzung zu sechst, dann die Knaffl-Handschrift-Besetzung mit vier Mann. Mit Bass, Bassettl hab ich keines gehabt. Dann gab’s noch eine Besetzung mit Fagott, ganz ungewöhnlich in der Volksmusik. Da habe ich dann Querflöte, Klarinette, Fagott und Gitarre zusammengesetzt. Insgesamt waren es sechs oder sieben verschiedene Besetzungen, mit denen ich unterwegs war.
42 Jahre lang war ich außerdem Juror beim Alpenländischen Volksmusikwettbewerb in Innsbruck. Vom Anfang bis vor vier Jahren. Der Franz Posch hat beim zweiten Mal mit der Steirischen vorgespielt – so lange kenne ich den schon [lacht]!
Max Rosenzopf verstarb am 31. Januar 2020 im Alter von 82 Jahren in seiner steirischen Heimat.
Die andauernde Blütezeit der Steirischen Harmonika ist mit seinem Namen verbunden:
MAX ROSENZOPF, JAHRGANG 1937 – 2020
Max Rosenzopf lernte schon in seiner Hauptschulzeit Steirische Harmonika, Akkordeon, Knopfgriffakkordeon und diatonische Handharmonika. Mit 17 Jahren war er als Volksmusiklehrer in Ligist tätig. Er unterrichtete, lebte eine Zeit lang in Bärnbach und ließ sich zuletzt in Köflach nieder, wo er in der Musikschule Volksmusikinstrumente unterrichtete. Nach seinem Fagottstudium an der Landesmusikschule, später an der Musikhochschule in Graz, wurde er aktives Mitglied bei verschiedenen Blasorchestern im Voitsberger Bezirk und im Steirischen Kammerorchester. Max Rosenzopf war fasziniert von den beiden Instrumenten Harmonika und Hackbrett, aber auch von der kraftvollen Überlieferung in seiner Heimat. Es lag wohl nahe, dass er mit Fleiß und Ausdauer allen Hinweisen, allen klingenden Gerüchten nach Feldforschermanier nachging. Seine Sammlung ist ein unschätzbares Zeugnis der bis heute funktionierenden Überlieferung. Vieles hat er herübergerettet, in seinen bewährten Musikgruppen erklingen lassen, als Botschafter Österreichs bei vielen Auslandsfahrten präsentiert, auf Schallplatten und bei Rundfunkaufnahmen dokumentiert. Max Rosenzopf hat seine Steirische Harmonika in vielen Lehrgängen landauf und landab den Leuten als ihr Volksmusikinstrument wieder zurückgebracht. Seine Sammlung – die vom steirischen Volksliedwerk als äußerst wertvoll eingeschätzt wird – und sein Wissen hat er aber nicht für sich behalten. Rosenzopf gründete nach Erscheinen seiner „Spielanleitung für die Steirische Harmonika“ im Jahre 1976 einen Eigenverlag und veröffentlichte weit über 20 Hefte für verschiedenste Volksmusikinstrumente und -ensembles.