Blechblasinstrumente und die Temperatur
Text: Elmar Walter, Fotos: Roland Pongratz
Welcher Blechbläser kennt die Situation nicht? Man spielt am Heiligabend vor der Christmette, hat gerade ein schönes Weihnachtslied aufgelegt und plötzlich lassen sich die Ventile nicht mehr bewegen. Sie sind eingefroren. Oder man ist gerade beim Neujahrsanblasen, stimmt einen Marsch an und nach wenigen Tönen stellt man fest, dass die Intonation des Orchesters schauderhaft klingt. Die Umgebungstemperatur spielt also beim Musizieren eine nicht zu unterschätzende Rolle und hat nicht nur auf die Funktionsfähigkeit großen Einfluss, sondern auch auf einige andere Faktoren, wie etwa die Tonhöhe.
So wird beispielsweise im § 2, Nr. 5 des Tarifvertrages für Mitglieder von Kurkapellen bestimmt, dass Musiker unter einer Temperatur von 14 °C nicht spielen müssen und das Arbeitsgericht Augsburg hat mit Beschluss vom 20. Juli 1984 einem dort ansässigen Arbeitgeber untersagt, Musiker im Freien zu beschäftigen, wenn die Temperatur unter 14 °C liegt. (www.dov.org/sites/default/files/2017-12/2014_Leitfaden_Klimatische_Bedingungen.pdf ). Allerdings kann Kälte für Blasinstrumente auch eine Bereicherung sein, wie die Erfahrungen mit speziellen Kältebehandlungen für diese Instrumente zeigen.
Frierende Ventile
Widmen wir uns zunächst dem Phänomen der eingefrorenen Ventile: Die Ventile von Blechblasinstrumenten werden in der Regel mit Ventilöl, das es in unterschiedlichen Konsistenzen gibt und deren Verwendung von der Art der Ventile abhängt, geölt. Das ist aber nicht die einzige Flüssigkeit, die sich in einem Blechblasinstrument befindet. In unserer Ausatemluft befindet sich Wasserdampf. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn man bei Minusgraden ausatmet und sich vor dem Mund ein kleiner Nebelschleier bildet. Dieses Wasser kondensiert am »kalten« Blech eines Blechblasinstruments und findet sich dann auch in den Ventilen wieder. Dies ist auch nötig, weil der Öl-Wasser-Film auf den Ventilkörpern – Wechsel – genannt, es erst möglich macht, dass sich diese problemlos bewegen lassen. Dieses Wasser friert bei Minustemperaturen ein und sorgt dafür, dass die Ventilwechsel sich nicht mehr bewegen lassen. Beim Gefrieren bilden die Wassermoleküle Kristalle. Sinkt die Temperatur unter den Gefrierpunkt, also unter null Grad Celsius, steigert sich die anziehende Wechselwirkung zwischen den Wassermolekülen und es bildet sich eine Kristallstruktur aus. Dieser Kristallisationsprozess wird durch Störungen in Form von Staubpartikeln oder, in unserem Fall, Öl bzw. leichten Erschütterungen erleichtert. Das zu Eiskristallen gefrorene Kondenswasser in den Ventilen blockiert diese und sorgt dafür, dass sich die Wechsel nicht mehr bewegen können. Bei entsprechenden Außentemperaturen kann das manchmal sehr schnell gehen, wie die Erfahrung zeigt.
Aber Vorsicht – versucht man, die Ventile mit Gewalt zu lösen, kann das zu Beschädigungen an der Mechanik führen. Die beste Lösung ist, das Instrument in einem warmen Raum »aufzutauen«. Es gibt aber auch schon entsprechende Ideen zur Lösung dieses Problems – von der Wärmflasche für die Tuba (www.obermain.de/lokal/obermain/art2414,255253) bis hin zum professionellen Ventilwärmer (www.merkur.de/lokales/schongau/jugend-forscht-schueler-experimentieren-ventilwaermer-super-drohne-6151024.html).
Der Fasching, die Fastnacht oder der Karneval liegen ja bekanntlich in der »kalten Jahreszeit« – wenn sie nicht gerade coronabedingt ausfallen müssen – und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Musik nach den Witterungsbedingungen richtet:
Im Jahr 1929 beispielsweise froren bei der Fasnet in Wolfach, einer Stadt im Mittleren Schwarzwald, bei Temperaturen um minus 20 Grad Celsius die Instrumente der Narrenkapelle ein. Dennoch konnte die Kapelle spielen, denn sie intonierte den Wolfacher Michelesmarsch, der ausschließlich aus Naturtönen besteht und den die Musiker somit auch ohne Betätigung der Ventile spielen konnten. Die ersten beiden Teile des Michelesmarsches basieren auf einem französischen Militärmarsch aus dem Jahre 1812 mit dem Titel Aux champs en marchant, was übersetzt so viel wie »marschierend aufs Schlachtfeld« bedeutet und der auch noch heute zum Repertoire französischer Militärorchester gehört. Dieser Marsch wiederum besteht aus verschiedenen Signalmotiven, die sich auf frühere Quellen beziehen.
Der Marsch findet sich auch in einem Chanson, das unter dem Titel La Casquette du Père Bugeaud bekannt ist und auf das Jahr 1846 datiert werden kann. Es muss also nicht gleich das Musizieren eingestellt werden, wenn die Ventile einfrieren – es kommt nur auf das Repertoire an.
Umgebungstemperatur und Tonhöhe
Die meisten festen, flüssigen und gasförmigen Körper dehnen sich beim Erwärmen aus und ziehen sich beim Abkühlen zusammen ...