Die vielen Gesichter des »Tiroler Abends«
Oder: »Die verstehen uns nicht!«
Seit der Corona-Superspreader-Nacht von Ischgl 2020 ist Après Ski ein Synonym für sämtliche Verfehlungen im Tiroler Tourismus. Davor hat lange Jahre der Tiroler Abend diesen Platz eingenommen. Der Erinnerungskultur-Fonds des Landes Tirol finanzierte von 2020 bis 2022 ein Forschungsprojekt, das der Geschichte dieses kontroversen Formates auf den Grund geht. Am Institut für Geschichte und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck hat man besonders die Wechselwirkungen zwischen Volksmusik, Politik und Tourismus im Fokus, aber natürlich beschäftigt man sich auch mit Phänomenen wie dem Watschenplattler – für viele schließlich nach wie vor ein Schlag ins Gesicht.
Text: Sandra Hupfauf
Als die ersten Tiroler Sängergruppen ab den 1820er Jahren vor adeligem Publikum auftraten, merkten sie schnell: Das fremde Publikum war heillos überfordert mit dem heimischen Dialekt, Inhalt und Humor blieben im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft hängen. Da half nur eines: Kürzen, Texte verteilen und auf nonverbale Kommunikation setzen – Jodeln, Tanzen, Trachten. Aber: Der Adel interessierte sich plötzlich für die exotische Welt der einfachen Alpenbewohner. Andreas Hofer sei Dank.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man in Tirol den Schweizern im Tourismus Konkurrenz zu machen. Um sich als bessere und billigere Schweiz zu präsentieren, setzte man vielfach darauf, ein von Touristen geäußertes Vorurteil auszunutzen: »Die Schweizer sind so ernst.« Kein Problem, denn durch die Tiroler Sängergruppen wusste man im Ausland längst: »Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie trinken a Weinderl und tanzen a so.« Die Sängergruppen wurden zu musikalischen Botschaftern dieses Tirolbilds – zu Nationalsängern – und präsentierten dieses auf den großen Weltausstellungen. Übrigens waren Frauen von Anfang an ein wichtiger und prägender Teil der Nationalsängertradition – in einer Zeit, als Frauen auf der Bühne alles andere als gängig waren. In Tirol selbst war man mit der musikalischen Tourismuswerbung durchaus einverstanden, so lange die Qualität der Darbietungen stimmte.
Vom Fremdenkonzert zum Tiroler Abend
Um 1900 erlebte der einheimische Fremdenverkehr eine erste Blüte. Nationalsänger konnten fortan ihr bewährtes Konzept auch daheim einem ausländischen Publikum präsentieren, als Fremdenkonzert. ... weiterelesen ...
Bild Die Geschwister Buchberger
Die Geschwister Buchberger singen Ade, mein schönes Südtirol, ca. 1938