Die strukturanalytische Gstanzlreimwerkstatt
Text: Daniel Fuchsberger Fotos: Martina Unterrainer, Steirisches Volksliedwerk
Als in der Steiermark lebender Salzburger für ein bayerisches Fachmagazin über Gstanzln schreiben, das, so möchte man meinen, heißt doch wahrlich, Eulen nach Athen zu tragen. Aber: Zum einen bin ich noch nie davor zurückgeschreckt, Fachleuten ihr Fachgebiet zu erklären, und zum anderen: Betrachtet man – zum Beispiel – die Archivbestände des Steirischen Volksliedwerks, finden sich darin tausende Vierzeiler, in Sammlungen oder als Einzelaufzeichnungen. Also darf ich mich hier auf eine sehr reiche Tradition berufen. Lediglich, was das spontane Aussingen (wie es in Bayern heißt) betrifft, scheint mir in Bayern eine lebendigere Traditionslinie vorhanden zu sein. Diese improvisatorische Fähigkeit durfte ich einige Male vorgeführt bekommen: Spontan auf Gstanzln anderer zu reagieren, oder Menschen (scherzhaft und individuell zugeschnitten) in Gstanzlform zu beleidigen, das ist in meinen Augen eine hohe Kunst, die lange Übung, ein großes abrufbereites Gstanzlrepertoire und eine kräftige Portion Chuzpe benötigt. Für uns Gstanzl-Laien bleibt nur, schon existierendes auswendig zu lernen, oder aber, die Vierzeiler vorzukochen, also zu dichten und dann (im richtigen Augenblick) parat zu haben. Zuerst ein paar Gstanzl-Faustregeln (so wie sie für mich erscheinen):
Der Textinhalt steht über allem.
Gut ist, was witzig ist. Was witzig ist, obliegt ja bekanntlich wiederum sehr der persönlichen Wahrnehmung. Auch einzuhaltende Konventionen sind da sehr unterschiedlich: Sexuell eindeutige Ausdrücke finden manche Menschen (nicht nur pubertierende und alkoholisierte) sehr witzig, andere gar nicht (z. B. Erziehungsberechtigte auf Kindergeburtstagsfeiern). Bei verklausulierten Anspielungen wird die Fangemeinde deutlich größer. Auch Form und Stärke von Diskriminierungen ist ein heute mitunter schwieriges Thema: Bis zu einem gewissen Grad leben Gstanzln vom Beleidigen, z. B. von bestimmten Berufsgruppen, von Einwohnern eines bestimmten Dorfes oder von Einzelpersonen. Von daher sind zu 100 % politisch korrekte Gstanzln zwar möglich, bergen aber die Gefahr gewisser Langeweile in sich. Umgekehrt bin ich selbstverständlich der Meinung, dass bestimmte Textinhalte heute nicht mehr gehen, antisemitische oder rassistische zum Beispiel.
Einmal soll sich’s reimen.
Die meisten mir vorliegenden – historischen – Vierzeiler machen genau das: Die vierte Zeile reimt sich auf die zweite. Daneben ist natürlich alles möglich: Paarreime (AABB), verschränkte Reime (ABAB), Reime innerhalb von Zeilen – oder auch, im Notfall, gar kein Reim (z. B. wenn der Witz im Nichtreimen liegt oder der Textinhalt dermaßen bestechend witzig ist und sich ein Reim unter gar keinen Umständen ausgeht). Auch mehr oder weniger stark verunreinigte Reime (»Stoan« auf »zwoa« o. ä.), oder gar Reime auf dasselbe Wort, sind durchaus üblich (wenn auch nicht unbedingt elegant, was, siehe oben, wenn’s witzig ist, niemanden stören wird.)
Alles andere ist nachrangig.
So ist es zwar schön, wenn Gstanzlinterpreten die vorgesehene Melodie halbwegs treffen – unbedingt notwendig ist es aber nicht (das ist dann eher eine Frage des persönlichen Selbstvertrauens). Auch das Versmaß ist zu vernachlässigen: Ob ein paar mehr oder weniger Silben in einer Zeile sind, ist gerade beim spontanen Texterfinden nebensächlich – sofern die musikalische Begleitung das erlaubt. (Oft werden, genau aus diesem Grund, die Gstanzlstrophen selbst gar nicht begleitet, nur die Zwischenteile.) Wenn die Texte vorbereitet werden, findet sich – sofern man das will – aber fast immer ein Weg, um auch das Versmaß richtig abzulängen. (Aber: Auch viele historische Aufzeichnungen gehen mit der Textzeilenlängeneinheitlichkeit eher leger um.)
Strukturanalysen und Adaptierungen
Es gibt wohl kaum eine kondensiertere Textart als Vierzeiler: Jede Zeile trägt schon 25 % des Gesamtliedes in sich. Schaut man sich historische Aufzeichnungen an, wiederholen sich bestimmte Strukturen. Es lohnt sich, solche Text-Strukturen von schon existierenden (und in der persönlichen Wertung als »gut« befundenen) Schnaderhüpfeln zu analysieren und übungsweise anhand dieser Strukturen entlangzudichten. So entsteht originär eigenes auf der Basis von bewährten Mustern. Die nachfolgenden Analysen (und Weiterdichtungen) dienen dabei ausschließlich diesem Zweck, die Erfüllung musikwissenschaftlich-profunder Analyse-Kriterien ist hier nicht das Ziel. Auch historische Einzelkunstwerke, also einzelne Vierzeiler mit sehr speziellen eigenwilligen Strukturen (oder Pointen) lohnt es sich nachzuempfinden. Zur Demonstration dieser Vorgangsweise habe ich eine Sammlung von Vierzeilern aus der Handschriftensammlung des Steirischen Volksliedwerks gesichtet, die mir am interessantesten scheinenden Gstanzln herausgenommen und diese nachgekocht.
Aufzähl-Gstanzln
Viele Gstanzln beginnen mit einer Aufzählung (über zwei oder drei Zeilen). Die Kontextualisierung derselben (was also die aufgezählten Dinge verbindet) folgt erst am Schluss:
A Ringerl am Finger,
a Kranzerl am Hoor,
so gehen ma zan Pforra
und wern ma [a] Poor.
Zwoa kuhlschwoarze Rößla
und a gscheckate Kuah,
dos gibt mir mein Vota,
wann i heiraten tua.
Zwei Adaptionen zu dieser Struktur (zufällig zum Thema Geld):
A fetter Pålåst
und a Aktiendepot
a Mille am Konto
dastickn sollst dro!
A Million in da Schweiz
und in Panama zwoa
mit a bissl Talent
wern de a amål goa.
Zeitlich sortierte Aufzählung:
Als Spezialform der Aufzählungen könnte man das folgende Gstanzl betrachten, hier wird der kulinarische Tagesablauf abgehandelt, mit einer doppeldeutigen (oder eher eindeutigen) Schlusspointe:
Zan Fruahstuck die Suppm
und Fisch af Mittog,
um holba drei Krebsn
und Vögeln af d’Nocht.
Solche Doppeldeutigkeit lässt sich auch anhand von Körperpflegetätigkeiten konstruieren:
Gschminkt in d’ Fruah
und d’ Frisur recht schen gmåcht
schen ånzogn z’ Mittåg
und pudert auf d’ Nåcht.
»Mei Schåtz is a …«-Gstanzln
Hiervon gibt es eine ganze Menge, immer wird eine andere Berufsgruppe genannt, besonders bekannt sind die Jaga. Sowohl die männliche als auch die weibliche Perspektive ist üblich, der »Schåtz« kann z. B. auch eine »Schwoagarin« sein. Oft findet sich dann eine typische berufliche Tätigkeit, die möglicherweise auch noch (sexuell) umgedeutet wird. Besonders schön finde ich folgendes Exemplar:
Mei Schotz is a Bäck,
is drei Viertelstund weg,
hot ma’s Dampfl eingrührt,
hobs dreiviertel Johr gspürt.
Dazu zwei Adaptionen, mit (noch) aktuellen Berufen:
Mei Schåtz is a Lehrer
der wird ållweil mehra
sei Wåmpm spüt varruckt,
håt scho ’s Rohrstaberl gschluckt.
Mei Schåtz is Aufsichtsråtsvorsitzender,
im Anzug a stårk schwitzender,
alsa Nåckerter a Graus –
aber zan Erben zåhlt si’ s aus!
Orts-/Ländergstanzln
Das Besingen (und meist auch Beleidigen) bestimmter Regionen oder (Bundes-)Länder ist ebenfalls sehr häufig. Einen fast schon dadaistischen Ansatz unter Zuhilfenahme einer länderspezifischen Vokabel (»lei«) vertritt folgendes historische Beispiel:
Kärntner lei, lei,
a Kröpferl dabei,
Steirer bum, bum,
an Kropf umadum.
Meine Adaption dazu, etwas großräumiger gehalten:
D’ östreichischn Leit,
san net schen und net gscheit.
Åber d’ Deitschn, o Gottln:
zehnmål so vü Trottln.
Ein Diminuitiv-Gstanzl
Ein schönes Exemplar, das in verschränkter Reimform (ABAB) sowohl die verkleinerte als auch die normale Form eines Wortes als Reimworte nutzt, ist dieses:
Linz is a Städtl
und Wean is a Stådt
in Linz essn ma’ s Bratl
und in Wean den Salåt.
Bei mir ohne geographischen Bezug, aber die diminuitiv-bezogene Struktur übernehmend:
Wånns kloan is hoaßts Käubi
wanns groß is hoaßts Kuah
wånn i gsoffn håb schbeib i
dånn hoaßts: Gib a Ruah.
Ein berühmtes Pärchen
Als Struktur könnte man hier begreifen, dass ein prominentes Pärchen vorgestellt wird, dessen Eigenschaften anschließend dargestellt werden:
Hansl und Gretl,
des san a por Leit,
der Hansl is närrisch,
die Gretl nit gscheit.
Auch folgendes Pärchen ist sehr prominent:
Mitn Trump und mitn Putin
mit de is’ a Gfrett.
Da oa is scho weg –
da onda leider nu net.
Scheinbare Lobgesänge
Hier wird die erste Strophenhälfte dazu genutzt, um jemanden (in diesem Fall eine Gruppe von Frauen) zu preisen, um in der zweiten Hälfte (gehässig und gemein) klar zu machen, dass das Gegenteil gemeint ist:
Die Pöllauer Mentscha
ziagn schworzi Strimpf on,
sie brauchns nit woschn,
sie brunzns glei on.
D’ St. Petersdorfer Menscher
sind gar schön,
wennst aufn Kropf aufisteigst
kannst d’ Sunn aufgehn sehn.
Eine Adaption für die bayerische Leserschaft:
De boarischn Buama
san ståttlich und treu,
weil mit so ana Wåmpm
is lång ålls vabei.
Scheinbar zusammenhanglos
Es muss auch keinen (auf den ersten Blick erkennbaren) direkten Bezug zwischen erster und zweiter Strophenhälfte geben, so wie im Folgenden:
Schön blau is da Himmel,
schön blau is der See,
mei Deandl is verschwunden,
dos tuat mir so weh.
Dazu eine Fortsetzung von mir:
Grean is de Steiermårk
grean is da Klee,
’s Dirndl is wieda då
is do net so schee.
Polyamorie
Zwoa Diandln liabn,
des is ma a Gspoaß,
die oani liab i laut
und die aundri, daß niamd woas.
Dazu die ernüchternde Feststellung:
Zwoa Dirndln liabn
is schwar zan datoan,
und kemmans da drauf
bist wieda alloan.
Vergräbt man sich auf diese Weise in Gstanzlsammlungen, wie sie in vielen Archiven oder auch in publizierter Form zu finden sind, merkt man rasch, wie das Dichten und Pointenfinden immer leichter von der Hand geht, wie langsam die historischen Formen verlassen und den eigenen Notwendigkeiten angepasst werden. Und, wer weiß, vielleicht entdecken so auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, endlich Ihr schon lange schlummerndes Gstanzlreimtalent!