Eindrücke aus einer Musikantensprache
Text: Florian Schwemin Fotos: Oberpfälzer Volksmusikarchiv (OVA)
Im März 1993 besuchte eine Gruppe von Volksmusikforschern die beiden Musikanten Adolf (*1928) und Josef Dobler (*1929) in Wolfsegg im Landkreis Regensburg. Entgegen der telefonischen Verabredung trafen die Forscher Josef Dobler nicht bei sich zuhause, sondern im Wirtshaus an. Nach einer langwierigen Annäherung führte man schließlich nach Ankunft des redseligeren Bruders Adolf ein knapp dreistündiges Interview in Josef Doblers Stube, bei dem die Brüder auch mit Klarinette und zweireihiger Knopfharmonika musizierten. Kopien des Tonbands befinden sich im Oberpfälzer Volksmusikarchiv (OVA) und im Institut für Volkskunde in München.
Neben diversen Melodien – vom Schlager bis zum Zwiefachen – entlockte die Gruppe den beiden Brüdern auch einige Wörter einer Musikantensprache. Mehr über diese Sprache zu erfahren war der Grund für den Besuch gewesen, da die Brüder nach Auskunft früherer Gesprächspartner diese Geheimsprache noch beherrschten.
Geheime Sondersprachen
Bei den genannten Wörtern handelt es sich bei genauerer Betrachtung zu allergrößten Teilen um jenische Begriffe. Das Jenisch stellt eine Untergruppe des Rotwelschen dar, das sich seit dem Mittelalter als Soziolekt randständiger Gesellschaftsgruppen, die durch ihre vagantische Lebensweise verbunden waren, herausbildete. Dazu zählten sowohl fahrende Studenten, Bettler, Juden, Hausierer, Leierspieler und ähnliche, am Rande bzw. außerhalb der Gesellschaft stehende Menschen.
Im Laufe der Jahrhunderte lassen sich mehrere Entwicklungsstufen des Rotwelschen feststellen, die bis ins 20. Jahrhundert anhielten und zu einer großen Vielfalt verschiedenster regionaler Spielarten des Rotwelsch führten. In der Forschung versucht man mittlerweile geläufige Begriffe wie Gaunersprache oder die Zuschreibung zu einzelnen Gruppen wie Musikanten, Bettler oder Viehhändler zu vermeiden, da dies nicht die sprachhistorische Realität widerspiegelt. Zwar gibt es ja nach Berufsstand Spezialvokabulare, Unterschiede lassen sich aber eher regional als über die Profession feststellen.
Diese Sondersprache, die mal zur zwanglosen Verständigung untereinander, bei der die Gemeinschaft der Fahrenden bekräftigt wurde, mal, um den Inhalt der Gespräche vor Außenstehenden zu verbergen, eingesetzt wurde, folgt in Satzbau und Grammatik der sie umgebenden Mehrheitssprache. Lediglich der Wortschatz wird kreativ abgewandelt und mit Wortneuschöpfungen erweitert. Der Sprachsoziologe Robert Jütte gibt die linguistische Herkunft der von ihm gesammelten Rotwelsch-Wörter aus der Eiffel als deutscher, hebräischer, niederländischer, lateinischer, französischer, romanischer und spanischer Herkunft an, wobei viele gemischte Kombinationen auftreten.
Nordbairische Sprachfärbung
Auch wenn die Doblers nicht der Bevölkerungsgruppe der Jenischen zugerechnet werden können – die bis heute noch nicht als eigene Volksgruppe anerkannt wurden – und sicher auch keine Gauner waren, so waren sie als Berufsmusikanten nach dem Zweiten Weltkrieg doch deutschlandweit unterwegs – etwa mit der Kapelle Schwarzfischer von München bis Hamburg. Dabei bewegten sie sich unter andern auf Volksfesten in Kreisen, in denen das Jenische oder andere Rotwelsch-Formen durchaus noch – oder wieder, schließlich verfolgten die Nationalsozialisten Jenische und Jenisch-Sprecher – in Gebrauch waren.
Was bei den von den Doblers angeführten Ausdrücken auffällt ist, dass sich der umgebende nordbairische Dialekt auch auf die rotwelschen Begriffe abfärbte. So führen sie für Urinieren den Begriff fläißln an, die jenischen Wörterbücher kennen flößeln (von Mhd. vloeseze = fließen machen). Dementsprechend gibt es einen Flouß-Kobel und einen Schund-Kobel für kleine und große Geschäfte
Bis zur ältesten Sammlung von Rotwelsch-Begriffen, den Baseler Betrügnissen von 1450 lässt sich das Wort für Fleisch, Bossert verfolgen, das auch den Doblers geläufig ist.
»So a gummiger Fusl!«
Die angeführten Wörter haben alle im weiteren Sinne mit dem Handwerk des Musikanten zu tun. Nachm Brand kummt der Nebl heißt nichts anderes, als dass man vom Bier einen Rausch bekommt. Wenn der Klingerer bei der Greanerei dufte manschare bekommt, hat der Musikant bei der Hochzeit gut gegessen. Schenkt allerdings der Kochara im Brandkobl einen gummiger Fusl aus, hat der Wirt im Wirtshaus schlechten Schnaps. Adolf Dobler gibt hier auch einen Einblick in die Vielfalt und Abwandlungen der Begriffe. So weist er darauf hin, dass in Oberbayern Kobara oder Kowara für den Wirt gebräuchlich sei – übrigens das niederösterreichische Mundartwort für Kuppler – in der Oberpfalz daraus aber eben der Kochara geworden sei.
Mit Zaou bezeichnen die beiden den Musikantenlohn. Der Begriff taucht in einer österreichischen Musikantensprache dem Dewarei als Zaund auf. Diese geheime Sprache, die verkürzt als eine Mischung des Jenischen mit slawischen und mundartlichen Begriffen bezeichnet werden kann, wurde von Bernhard Gamsjäger untersucht. Mit dem Dewarei teilt die Musikantensprache der Doblers auch den Begriff Binkl für Mann, den aber auch andere rotwelsche oder jenische Sprachen kennen.
Zweideutiges Gelächter und einen Verweis auf das sechste Gebot entlockte Josef seinem Bruder indem er aus dem Hintergrund den Begriff zirkl Mowo einwirft (leider nicht ganz verständlich), was wohl ein äußerst ansehnliches Mädchen bezeichnet.
Die Begriffe gehen den Brüdern leicht von den Lippen und dass die Wörter immer wieder zum Verdeutlichen in verschiedenen Satzkonstellationen eingeworfen und wiederholt werden zeigt, dass sie zumindest eine Zeit lang tatsächlich im Sprachgebrauch der beiden verankert waren. Der angeführte Wortschatz dreht sich aber fast ausschließlich um das Handwerk der Klingerer um treberln (= tanzen), manschen (= essen), schwächern (= trinken) und Spielgelegenheiten.
Ein breites Forschungsfeld
Alles in allem wirkt das vor allem kreativ – so heißt der Organist z. B. Hölzlklauber – und lebensfroh. Dass aber auch den Doblers ein Wort für Betteln geläufig ist, zeigt, dass auch dieser Zweig des Rotwelschen seine mittelalterlichen Wurzeln nicht vergessen hat. Wie viele Berufsmusikanten der Nachkriegszeit tatsächlich eine Musikantensprache gesprochen haben und vor allem zu welchen Gelegenheiten, wäre tiefergehende Untersuchungen wert und könnten das Bild dieses ausgestorbenen Berufszweigs ein Stück bunter machen.
Das, was der Frühhumanist Matthias von Kemnat 1475 über die Sprecher des Rotwelschen schreibt, trifft aber auf die Berufsmusiker des 20. Jahrhunderts sicher nicht zu: »Und das geschlecht ist von art und natur fule, fressig, dreg, schnode, lugenhafftig, betrogen spieler, geukler, gotschwerer, diebe, rewber, morder, vast gesunt und starck, unnutz got und der welt, der gemein, geistlich und weltich, arme und reiche, und betragen sich allein des bettelns und geilen und haben gefonden den fundt, das si one alle arbeit betruglich den pfenningk und das brott gewinnen mit mußig gehen.« (Kluge, 1901, S. 20f – Herzlichen Dank an meine Kollegin und Mit»zwiefach«schreiberin Evi Heigl für diese tolle Quelle!)
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