In Gegenbewegung zum Miteinander
Chaosbewältigung im Hirn von Musizierenden
Text: Willi Huber Foto: Albrecht E. Arnold/ pixelio.de
Wenn man über Musik spricht, an Musik denkt, dann verbindet man diese zunächst immer mit einem akustischen Eindruck. Musik, das ist Klang, das sind Schallwellen und das für deren Wahrnehmung zuständige Organ ist das Ohr. Von dort wird der Schall an unser Gehirn weitergeleitet, verarbeitet und letztendlich als angenehme oder auch unangenehme Musik erkannt. Bevor aber überhaupt etwas Hörbares entsteht, bedarf es im Falle des aktiven Musikers einer ausgefeilten Koordination seines Körpers, denn die Klänge eines Instruments werden immer noch in Handarbeit, bzw. mit z. T. vollem Körpereinsatz erzeugt.
Koordinierte Bewegung als Grundlage des Musizierens
Was bei oberflächlicher Betrachtung wie ein harmonisches Miteinander der beteiligten Gliedmaßen und Extremitäten aussieht, ist in Wirklichkeit ein permanentes, asynchrones Gegeneinander, das zu organisieren unser Gehirn zu Höchstleistungen gefordert wird. Wenn man bedenkt, dass uns das korrekte Ausführen von so mancher Bewegungsübung in einer Physiotherapie schon vor ernsthafte Probleme stellt, dann kann man sich leicht vorstellen, wie komplex es ist, Arme, Hände und Füße unabhängig und vor allem präzise zu steuern. Dies ist die eigentliche Grundlage des Musizierens!
Einigermaßen überschaubar wäre vielleicht noch das Spielen einer Mundharmonika oder das Schlagen einer großen Trommel. Bei Schlaginstrumenten mit zwei Schlägeln (Xylophon, Marimba etc.) teilen sich schnelle Bewegungen auf beide Hände auf, das absolut gleichmäßige Abwechseln von der einen zur anderen Hand muss jahrelang trainiert werden.
Links, rechts, oben, unten …
Die meisten Instrumente werden mit zwei Händen gespielt, in manchen Fällen mit äußerst unterschiedlichen Aufgaben, denkt man z. B. an die Streicher. Die rechte Hand führt den Bogen, während die linke Hand die Töne greift. Die Bewegung beider Hände muss dabei völlig unabhängig voneinander sein. Bei Tasteninstrumenten gilt es die zehn Finger zu individuellen Einzelkämpfern zu erziehen. Jeder, der einmal Klavier gelernt hat, weiß, wie mühsam es ist vier Sechszehntel in der rechten Hand auf eine Achteltriole links zu verteilen. Wenn dann noch der Pedaleinsatz hinzukommt, wird es erst richtig verwirrend.
Á propos Pedale: Denkt man an die Harfe gibt es diesbezüglich noch eine Steigerung der Anforderungen. Hier gilt es, nicht nur seine Hände, mit in diesem Fall nur acht aktiven Fingern zu koordinieren, sondern über die Beinarbeit an den Pedalen noch für den passenden Einsatz der Vorzeichen zu sorgen. Oft ist es dabei erforderlich, die Pedale ungeachtet des Grundrhythmus zwischen den Taktschlägen zu treten und möglicherweise mit dem anderen Fuß noch ein weiteres Pedal wieder aus seiner Verankerung herauszuholen, denn die Pedale springen nicht nach Gebrauch automatisch zurück. Auch Organisten und Schlagzeuger spielen mit allen Vieren, im Falle des Schlagzeugers manchmal in völlig verschiedenen rhythmischen Figuren.
Nicht nur rhythmische Unabhängigkeit
Eine ganz besondere Form von manuellem Multitasking erfordert die Zither. Hier haben nicht nur beide Hände etwas Unterschiedliches zu tun, sondern es werden auch noch der rechten Hand zwei völlig verschiedene Aufgaben zugeteilt. Der Daumen der rechten Hand zupft mit dem daran befindlichen Ring die Saiten des Griffbretts, während die anderen Finger in Gegenbewegung und rhythmisch unabhängig die Freisaiten zupfen.
Das Gehirn von Musikern leistet also Schwerstarbeit, die auch tatsächlich im Gehirn sichtbare anatomische Spuren hinterlässt. So ist der Gehirnbalken, das sog. corpus callosum, zuständig für die Verbindung und die Verdrahtung der beiden Gehirnhälften, tatsächlich bei Musikern, vor allem den vierfach aktiven, wesentlich größer und ausgeprägter entwickelt als bei Nicht-Musikern. Dies lässt sich bereits bei Kindern nachweisen, was den Wert einer musikalischen Ausbildung auch aus dieser medizinischen Sicht erneut unterstreicht. In Finnland wird jedem Schulkind das Erlernen eines Musikinstruments ermöglicht, es ist dort sogar ein Pflichtfach. Das Resultat dieser Erziehungsmaßnahme ist mehr als erfreulich: Seit Jahren gelten finnische Schüler als die besten in der Welt!
Trotz der inneren körperlichen Kontroversen, die der aktive Musiker zu bewältigen hat, erscheinen musizierende Menschen doch in der Regel als friedlich und ausgeglichen. Vielen Menschen bereitet das Musizieren in der Freizeit Entspannung und Erholung. So sehr auch die Finger, die Hände und sogar die Füße doch gegeneinander arbeiten müssen, am Ende entsteht als oberste Instanz ein harmonisches Ganzes, das sich beim gemeinsamen Musizieren gegenseitig stützt und ergänzt. Die Musik, das musikalische Ensemble als natürlicher Lebensraum des Musikers kennt keinen Gegner, es kennt nur das friedliche Miteinander.