s’ Dorfladl
Der Begrüßungston durch den Bürgermeister ist heute persönlich, er kennt die Vorstandschaft des Heimatvereins mit Ahmed, Elisabeth und Ludwig und schätzt die meisten ihrer Aktivitäten. Das heutige Projekt sieht er skeptisch, es geht um »s’ Dorfladl«. Regionale Erzeuger sollen liefern, die Dörfler würden kaufen, ein dörfliches Selbstbewusstsein könne entstehen.
Die Vorstände erläutern, das Gemüse und Obst von den umliegenden Bauern kommen müsse, Marmeladen kochen, Kuchen und Brot backen seien Aufgaben der Vereinsmitglieder, man könne Rezepte aus Omas Kuchl kopieren, Schmankerltage, ein Quiz und Vorträge organisieren, das ehemalige Feuerwehrhaus ist die ideale Location und bei der Eröffnung spielten die Reuther Buam Lieder vom Bauernleb’m und da Kuchl.
Höflich aber deutlich äußert der Bürgermeister seine Bedenken, innerlich schüttelt er den Kopf. Die Kommune könne keine finanzielle Förderung leisten, Corona, Grundschule, Straßensanierungen würden sehr belasten. Aber das größte Problem: Sind ausreichend Biobauern im Umfeld? Eine weitere Enttäuschung bereitet die Frage nach dem Struktur- und Marktkonzept, der Kosten-Nutzen-Abfrage und den Ausschreibungsergebnissen.
Schweigen und Resignation beim Heimatverein. Nur Ahmed wagt die Alternative zu äußern, einen Internetauftritt mit Kaufmöglichkeiten, Bestellsoftware und Abholzeiten. Der Bürgermeister bremst endgültig und schlägt, auf die Uhr blickend, eine Vertagung vor und bittet um eine baldige Entscheidung: »Was jetzt, virtuell oder real?«
Der Klang der Heimat
China ist zum Dortbleiben schön«, bekennt Josef leichtfertig während seines Urlaubs. Seine Heimattauglichkeit gilt seither als testwürdig: Hat er sich verändert, gehört er noch zu uns? Aufgefallen waren Worte wie cool und mega. Als Erkennungsschnelltest hat Josef die Heimat-App mit Videos vom Fanderl-Wastl und Naturbeschreibungen von Adalbert Stifter möglichst frei- wenn auch widerwillig zu bewundern, um schnellstens das Echt-Bayerische zu regenerieren. Der Grad der Begeisterung ermöglicht Rückschlüsse auf Befall und Genesung. Bei den zusätzlich vorgelegten Bildern bewundert er Gottseidank die Motive Alm, Kirchturm und Weißwurst. Nichts ist besorgniserregend, zumal Josef wiederholt aufsagt: »Bei uns is’s am scheenstn«.
Das Dialektcontrolling wird ihm trotzdem nicht erspart, der Heimat-Qualitätsbeauftragte nimmt seinen Job sehr ernst, ständig beobachtet er die Risikogruppe. Die Sprachprüfung diagnostiziert kein Defizit, der bayerische Kontext wirkt, insbesondere die Reflexion von Komplexität und Dynamik in Kombination mit der untersuchten Feedbackroutine. Die Diagnose, sowohl bottom-up und bottom-top-down als auch horizontal und vertikal dokumentiert eine Rückentwicklung, die Besinnung auf das Dahoam. Auch beim Musikempfinden?
Günstig ist das aktuelle Musikantentreffen beim Loiflwirt. Die Session der Musikanten ohne Tickets, Moderation, Formationen und Publikum aber mit Gesang, Gelächter und Gerede, mit Spiellust, spontanen Einlagen und schrägen Improvisationen. Die Musiker sind weder geschminkt noch ausgeleuchtet noch verkabelt und schon gar nicht todernst. Viele Einheimische und der Qualitätsbeauftragte reagieren befremdlich und vorsichtig ablehnend: »Muass des sei?« oder »Jetzt übertreim s’ owa!« Auch Josef spürt das Heimatrisiko, vertraut aber seiner Selbstanalyse, erlaubt sich ein mutiges »Mega-cool!« bekräftigt mit seinem lauten Applaus und lässt sich anstecken. Diese ungekünstelten Momente, diese Kraft der Musik, prägen sich bei ihm tief ein und werden ihm in China sehr gut tun, wenn er dort bayerische Autos baut.
Das Bücherwurm-Drama
Der Rückgang der Spezies Bücherwurm bereitet den wenigen Sprachschützern Hinterbayerns größte Sorgen. Doch erst der dörfliche Marketingexperte definiert die Lösung für die Ökologie und eine Vermarktbarkeit für die Ökonomie, eine Win-win-Situation. Die Rettung beginnt mit einem frostsicher fundamentieren Massivzaun um das Wurm-Habitat als Schutz vor Leseratte und Computermaus.
Im Flyer wird von »Zukunft« und »Verantwortung« gegenüber dem Wurm geschrieben. Laut Monitoring findet er besonders klassische Literatur zum Fressen gern, Bavaricas und Krimis bereiten ihm Magengrimmen, unverdaulich sind ihm Textbausteine, die Wortpillen »da wo«, »eigentlich« und »man« bereiten ihm größte Übelkeit. Er wird immer scheuer. Die vielen Besucher, denen er sich präsentieren, und die Sicherungsmaßnahmen, die ihn schützen sollen, belasten ihn, schlagen ihm auf den Magen.
Das Monitoring bestätigt seinen Rückgang. Die servierten Bücher werden zunehmend verschmäht, die ausgelegten Tageszeitungen und hingeworfenen Papiertaschentücher sowieso. Bald sorgt sich ganz Hinterbayern um sein Unique-Selling-Product, den Bücherwurm, für den man doch nur das Beste will.
Bis zufällig eine Ursache entdeckt wird: Die Zeitungsenten. Sie landen morgens, regelmäßig und hungrig, finden ihr Frühstücksschmankerl in Form des Wurms und verschwinden vor der Gehegeeröffnung. Welche schnelle und naturnahe Rettung gibt es? Vorschläge: Wurmwächter (zu teuer), Selbstschussanlagen (zu gefährlich), Alarmsysteme (zu störend), Gehegedach (zu aufwendig), Eintrag in die Rote Liste (wirkungslos), mehr Verbotsschilder (abschreckend nicht für die Enten), intensivere Besucherlenkung (bevormundend), Eintrittsgelder (Steuerproblem).
Wieder lösen die Sprachschützer das Drama: Die Einbürgerung des natürlichen Feindes der Zeitungsente, des Reißwolfes. Mit allerdings vergrößertem Gehege. Fragen, Ablehnung und Zustimmung, Kostenkonzepte, Bauvorschläge, Kopfschütteln, was frisst ein Reißwolf? Auch Papier? Ja, echt?! Dann ist er doch optimal!
Wieder ist es das Dorfmarketing, das Kopfnicken provoziert. Es plant jetzt langfristig den hinterbayerischen Literaturtourismus mit dem Motto Mit den Poeten auf Du und Du. Eine Sprach-App wird geplant, regelmäßige Dialekt-Lesungen beim Gehege, in den Flyer gehört das Wort »Literatur«. Die Übernachtungszahlen werden steigen.
Stopp! Es wird beobachtet, wie der Wolf einen dicken Band von Goethe zerfetzt. Der nächste Aufschrei: »Do is da Wurm drinn!« Drama! Lösung: Da wo er ist, da muss man eigentlich was tun, die wo was verstehen. Genau!
aus zwiefach 06-2019
Herbert und Gisela Pöhnl