10 Jahre "akkordeon akut!"

 

10 Jahre "akkordeon akut!"

Das world music festival "akkordeon akut!" lotst dieses Jahr bereits zum zehnten Mal Fans von Akkkordeon, Weltmusik und Jazz nach Halle.

 Text: Christina M. Bauer; Fotos: Minna Hatinen; Kathrin Müller-Beck.

Einige tausend Besucher werden sich wieder einfinden in der Stadt in Sachsen-Anhalt, um Konzerte regionaler und internationaler Künstler zu hören. Das Akkordeon steht dabei immer im Vordergrund. Die Idee hatte Festivalgründerin Kathrin Müller-Beck, als sie in Wien das Akkordeon Festival von Friedl Preisl besuchte. So etwas wollte sie ebenfalls probieren, in ihrer Heimatregion. Das Wiener "Original" hat sie seitdem fast jedes Jahr besucht und ist mit Preisl bis heute im regelmäßigen Austausch. Zur Jubiläums-Ausgabe hat Müller-Beck nun viele Künstler eingeladen, die früher schon auf dem Festival gespielt haben. Richard Galliano ist das dritte Mal dabei, dieses Mal im Jazztrio "Mare Nostrum" mit Jan Lundgren und Paolo Fresu. Ebenfalls aus Frankreich reist Rock-, Weltmusik- und Jazz-Akkordeonist Vincent Peirani mit seinem Ensemble "Living Being" an. Der weißrussische Musiker Yegor Zabelov ist für zwei Konzerte vor Ort. Er spielt im Trio mit Bobo und Herzfeld - eines der Ensembles, die auf diesem Festival entstanden sind. Zudem tritt er mit seinem Music & Visual Art-Projekt "Moby Dick" auf, zusammen mit Visual Artist Artemi Kalinin, und passend zum Thema im Schwimmbad.

 

Der finnische Stil- und Improvisations-Wandler Kimmo Pohjonen bringt für das Bühnenstück "Bright Shadow" die Ballett-Tänzerin Minna Tervamäki mit. Seine Landsfrau Johanna Juhola präsentiert bei der "FreitagNacht!" ihr interaktives Repertoire "Imaginary Friends", bei dem ihre Co-Künstler per Leinwand erscheinen. Die norwegische Jazzsängerin Rebekka Bakken wiederum tritt schon zum zweiten Mal eigens für dieses Festival in einer Besetzung mit Akkordeon auf. In ihrem Ensemble spielt Akkordeonist Espen Leite. Die "Akkordeon-Rallye" widmet sich erneut vor allem regionalen Künstlern. Mit dabei ist Akkordeon-Kabarettist Frank Grischek mit seinem aktuellen Repertoire. Zeitgleich gibt es bei der Rallye noch mehrere interessante Konzerte, etwa in der Tram: "Lieder in der Linie 8" spielen Christine Paques und Toralf Friesecke in ihrem Bal-Folk-Duo "Lo Bòsc". Wie jedes Jahr ebenfalls mit von der Partie: Die vielen Akkordeone des Landes-Akkordeon-Ensembles Sachsen-Anhalt unter der Leitung von Lutz Stark. Sie haben zeitgenössisches Repertoire dabei, etwa "Aitake" (Jens Marggraf), "Sonnenfeuer" (Jens Klimek) oder die "Downland Suite" (John Ireland). Abgetanzt werden darf dieses Jahr auf vielfachen Publikumswunsch hin erstmals im Saalekiez: in der Balkan Brass-Band des Trompeters Boban Markovic steuert Djordje Davidovic die Akkordeon-Parts bei. Diatonische Harmonikas sind ebenfalls im Programm: der brasilianische Stil-Fusionist Renato Borghetti konzertiert mit seinem Quartett, Anne Niepold tritt mit ihrem Jazz-Trio auf.

 

Veranstalter: Cultus@Cultura e.V.

Zeit: 30. Oktober - 10. November 2019.

Ort: Halle (Saale).

Website: www.global-music-festival.net

 

Interview mit Kathrin Müller-Beck: "Da kann man doch versuchen, etwas zu ändern"

 

Interview und Text: Christina M. Bauer, Fotos: Boban Markovic Orkestar; global music festival; privat.

 

Idee, Anfänge und Entwicklung von "akkordeon akut!": Initiatorin und Leiterin Kathrin Müller-Beck gab Einblicke.

 

Sie haben "akkordeon akut!" gegründet und leiten es bis heute?

Kathrin Müller-Beck: Genau, ich habe das gegründet und habe es bis heute unter meiner Hand.

 

Spielen sie selbst Akkordeon?

Kathrin Müller-Beck: Nein, ich bin selbst gar keine Akkordeonistin. Ich habe als Kind Klavier und Klarinette gelernt, aber das hat sich dann verloren über die Zeit. Ich habe Interesse an diesem Instrument gehabt, weil das vor zehn Jahren noch ein bisschen unterrepräsentiert und mit einem altbackenen Image versehen war. Ich dachte, da kann man doch versuchen, etwas daran zu ändern. So ist das entstanden.

 

Hat das sofort gut geklappt, oder war es erst mal ein Anlauf?

Kathrin Müller-Beck: Das hat sofort gut geklappt, deswegen gibt es das heute noch. Eigentlich hatte ich mir das nur als einmaliges Projekt ausgedacht. Aber es wurde gut angenommen und war sofort ausverkauft. Da haben wir weitergemacht.

 

Beim ersten Festival war schon Richard Galliano dabei.

Kathrin Müller-Beck: Genau, und beim fünften wieder. Wir haben jetzt so Fünf-Jahres-Abstände, wo wir ihn einladen. Wir haben damals gedacht, wenn wir anfangen, dann gleich mit einem großen Paukenschlag.

 

Hatten Sie Kimmo Pohjonen beim ersten Festival dabei?

Kathrin Müller-Beck: Nee, der kam später mal im Duo mit seiner Tochter, und dieses Jahr ist er mit einer Tänzerin dabei.

 

Vincent Peirani war ebenfalls mal da.

Kathrin Müller-Beck: Es sind zum Zehnjährigen viele Namen dabei, die wir schon da hatten. Wir wollten noch mal Revue passieren lassen, was sich im letzten Jahrzehnt ereignet hat. Ansonsten haben wir aber jedes Jahr eine neue Programmplanung.

 

Es sind viele Regionen vertreten. Hat Yegor Zabelov aus Weißrussland früher schon mal auf dem Festival gespielt?

Kathrin Müller-Beck: Er war schon dabei. Jetzt gibt es dieses Projekt Zabelov mit Bobo und Herzfeld. Das habe ich damals zusammengebaut. Ich fand wunderschön, was Bobo und Herzfeld machen, aber sie hatten kein Akkordeon dabei. Ich sagte: "Wenn ihr bei mir spielen möchtet, braucht ihr jemand." Dann haben wir gemeinsam geguckt, und ich sagte, schaut euch doch mal Yegor an. Seitdem spielen sie zusammen, das sind jetzt fünf, sechs Jahre.

 

Gab es das öfter, dass Sie das animiert haben, wer ein Ensemble formieren könnte?

Kathrin Müller-Beck: Ja, wir haben häufiger Eigenproduktionen. Wir hatten Axel Prahl da, der dann mit Tobias Morgenstern gespielt hat. Rebekka Bakken spielt sonst auch ohne Akkordeon, das macht sie extra für uns. Letztes Jahr hat Rainald Grebe ein Projekt gemacht, eigens für uns.

 

Wenn Sie sich die Musikszene anschauen, würden Sie sagen, Akkordeon ist jetzt besser repräsentiert?

Kathrin Müller-Beck: Ich habe das Gefühl, es gibt eine nachwachsende, junge Szene, die das Klischee nicht mehr im Kopf hat, von wegen Akkordeon ist altbacken. Die gehen damit viel relaxter um, viel kreativer, haben keine Scheren mehr im Kopf. Sie nehmen das als Instrument unter vielen und bauen es mit ein. Die junge Folkszene ist da sehr aktiv.

 

Wer fällt Ihnen vor allem ein?

Kathrin Müller-Beck: Aus Franken das Kellerkommando, oder aus Berlin Holler my Dear.

 

Ist es leicht, Musiker für das Festival zu finden, oder würden Sie sich noch etwas mehr wünschen?

Kathrin Müller-Beck: Wir haben beim Festival den Schwerpunkt Jazz und Folk. Was da manchmal noch ein bisschen fehlt, sind wirklich große Namen.

 

Hat sich das Festival in den zehn Jahren sehr verändert, oder ist es noch ganz ähnlich?

Kathrin Müller-Beck: Es hat sich schon sehr verändert. Wir haben angefangen mit vier Tagen, jetzt sind wir bei elf. Es sind immer neue Formate dazugekommen, zum Beispiel die "FreitagNacht!", wo ein ganzes Haus bespielt wird, vom Kino über den Studentenkeller und über zwei Stockwerke mit Konzertbars. Wir haben die Akkordeon-Rallye, und wir haben eine Straßenbahn beklebt, darin wird Musik gemacht.

 

Charmant.

Kathrin Müller-Beck: Das ist auch um diesen Straßenbahn-Effekt zu nutzen. Wenn dort der Balg auf und zu geht, macht das den Effekt eines gespielten Akkordeonbalgs. Wir gucken, dass wir regelmäßig neue Formate dazunehmen.

 

Wie trägt sich das finanziell, über Sponsoren wahrscheinlich, und Eintritt?

Kathrin Müller-Beck: Genau, wir haben viele Sponsoren, aus der Fachwelt, aber auch das BMW Werk Leipzig, die sich engagieren, dazu Fördermittel und Eintritte. Ich würde sagen, jeweils ein Drittel.

 

Okay. Wie ist das Publikum, ist es jung, oder aus allen Altersgruppen, und aus welchen Regionen?

Kathrin Müller-Beck: Ich weiß, dass viele anreisen, um sich die Konzerte anzuhören. Wir machen Zuhörerumfragen, da ist spürbar, dass aus den Hochschulstädten, wo man Akkordeon studieren kann, viele Leute anreisen. Ansonsten sind wir bunt gemischt.

 

Gab es sonst Rückmeldungen in den Umfragen?

Kathrin Müller-Beck: Wir haben immer Freitextfelder dabei, und wir hatten das schon, dass ganz bestimmte Musiker gewünscht wurden. Wenn sich das bei einzelnen Musikern häuft, höre ich mir die dann schon an.

 

Sind auf die Art Musiker ins Programm gelangt?

Kathrin Müller-Beck: Das ist vorgekommen. Ansonsten gibt es oft eine bestimmte Anmerkung, daran versuche ich dieses Jahr mit dem Boban Markovic Orchestra was zu ändern. Die Leute wollen immer noch Platz zum tanzen haben, und im dunklen Theatersaal ist das nicht so einfach. Das versuchen wir jetzt mit dem Saalekiez umzusetzen, das man abends tanzen und feiern kann.

 

Gibt es sonst Neuerungen?

Kathrin Müller-Beck: Neu dabei ist Anne Niepold, das hatte bisher aus terminlichen Gründen nicht funktioniert. Eine besondere Geschichte ist Yegor Zabelov, mit "Moby Dick", direkt im Schwimmbad. Aber so was ähnliches hatten wir schon mal dabei.

 

Machen Sie noch andere Festivals?

Kathrin Müller-Beck: Ich mache immer wieder bei anderen Festivals mit. Beim Rudolstadt Festival habe ich eine Bühnenbetreuung. Ich übernehme jetzt das bundesweite Jazz Nachwuchsfestival in Leipzig, und noch kleinere Geschichten. Das akkordeon Festival war tatsächlich mein erstes, das habe ich direkt nach dem Studium angefangen.

 

Was war das Studium?

Kathrin Müller-Beck: Theaterwissenschaften und Portugiesisch.

 

Wie ging von dort der Weg zum Festival organisieren?

Kathrin Müller-Beck: Wie das so ist, wenn man eine Idee hat, und Lust hat, was zu machen, dann macht man es, oder man lässt es. Da gab es nicht wirklich eine Strategie oder eine lange Entscheidung davor. Ich dachte mir, das ist eine nette Idee, dann gucken wir mal, ob es klappt.

 

Es hat sich dann ja gut entwickelt. Hat Ihre frühere Beschäftigung mit Musik etwas dazu beigetragen?

Kathrin Müller-Beck: Mit Sicherheit. Seit ich vierzehn, fünfzehn bin, bin ich intensive Jazzhörerin und Konzerte-Guckerin, bin viel gereist, hab mir Konzerte und Festivals angehört, viel im Bereich Folk und Jazz. Das spiegelt sich im Grunde in der Programmatik des Akkordeon Festivals wider. Aber ich glaube, das ist bei allen künstlerischen Leitern so.

 

Klassik findet man dann mehr bei anderen Festivals.

Kathrin Müller-Beck: Nicht nur. Wir haben das Landes-Akkordeon-Orchester Sachsen-Anhalt, das hat jedes Jahr einen festen Anteil im Programm. Wenn so hochkarätige Leute direkt vor der Haustür sitzen, dann ist das eine besondere Freude, zuzuhören. Ich bin ja nicht klassik-unaffin, ich bin nur jazz-affiner.

 

Verstehe. Die Akkordeon-Rallye ist vor allem für regionale Musiker?

Kathrin Müller-Beck: Genau, ab und zu sind Bands dabei, die nicht aus Sachsen-Anhalt sind. Aber meist versuchen wir, dort regionale Bands zu promoten.

 

Wie viele Menschen besuchen das Festival pro Jahr?

Kathrin Müller-Beck: Es sind immer so zwischen viertausend bis fünftausend.