Woher kommen die Akkordeon-​Ideen?

Inspiration in der Lebensmitte

Woher kommen die Akkordeon-​Ideen?

Akkordeon, Bandoneon oder Akkordina bieten eine Fülle an Musik und Möglichkeiten. Aber ein Musiker spielt weiter, der andere hört auf, wieder ein anderer nimmt das Akkordeon nur sehr sporadisch zur Hand, und das alles aus den verschiedensten Gründen. Was macht dabei den Unterschied? Ist es die Freude am Spielen (oder deren Fehlen), die verfügbare Zeit (oder der Mangel daran), gibt es „Gründe“ zu spielen (etwa Auftritte), entstehen neue Ideen, ist es die richtige Musik, und wird allein oder gemeinsam gespielt? Wir wollten von Profi-​Akkordeonisten, Komponisten und Dozenten wissen, was sie selbst zum Akkordeonspielen motiviert, was sie inspiriert und ihnen immer wieder neue und andere Ideen gibt, und welche Tipps sie Hobby-​Akkordeonisten geben würden. Im Austausch per E-Mail und Telefon erreichten uns ihre Antworten aus verschiedenen Regionen Deutschlands, aus Österreich, Spanien und Finnland.

Text, Fragen und Zusammenstellung der Antworten: Christina M. Bauer
Fotos: Michael Reidinger, Andreas Hinterseher, ­Grischek ­Fotografie, Hannu Oskala, Catherine Gaffiero, Sabine Kölz, Anita Heinemann

„Gerade im Vergleich zu anderen Instrumenten bietet das Akkordeon noch so viele Möglichkeiten, Neues zu entdecken. Im klanglichen Bereich, vor allem aber auch, eine eigenständige Musik zu ­entwickeln. All das inspiriert mich besonders.“

Klaus Paier

Akkordeonist, Komponist, Jazz- und Weltmusiker (St. Stefan, Österreich)

  • Was inspiriert bzw. motiviert dich persönlich (besonders) zum Akkordeon spielen?

Ich spiele seit meiner frühen Kindheit Akkordeon. Bin daher mit dem Instrument sehr stark verwachsen bzw. verwurzelt. Gerade im Vergleich zu anderen Instrumenten bietet das Akkordeon noch so viele Möglichkeiten NEUES zu entdecken. Im klanglichen Bereich, vor allem aber auch eine eigenständige Musik zu entwickeln. All das Inspiriert mich besonders.

  • Gibt es das, dass du mal gar nicht spielen oder üben möchtest?

Einmal nicht spielen bzw. üben ist sogar enorm wichtig!

  • Wenn das vorkommt, was machst du dann?

Entspannen und Nachdenk-​Pausen schaffen…Mich mit anderen Themen beschäftigen oder auch mal nichts tun!

  • Woher beziehst du (vor allem) Inspiration und neue Ideen zum Spielen (oder auch für eigene Stücke)?

Das ganze Leben ist für mich Inspiration. Musik hören, Musik verstehen lernen, Experimentieren, Ausprobieren, Begegnung mit anderen Menschen bzw. Musikern.

  • Kannst du aus deiner Erfahrung heraus Hobby-​Akkordeonisten den ein oder anderen Tipp geben?

Vieles ausprobieren und auf musikalische Entdeckungsreise gehen. Sich von anderen Musikern inspirieren lassen. Irgendwann findet man für sich und sein Instrument die geeignete Musik. Daraus ergibt sich dann die Motivation zum Spielen und Üben. Für mich persönlich stand immer die Musik im Vordergrund, erst danach das Akkordeon.

Andreas Hinterseher

Jazz- und Weltmusiker, Akkordeonist, Komponist (Bayern)

  • Was inspiriert bzw. motiviert dich persönlich (besonders) zum Akkordeonspielen?

Zum einen ist es einfach eine große Liebe. Und eine Liebe muss man nicht begründen, sie ist einfach da. Zum anderen ist das Akkordeon ein sehr komplexes und herausforderndes Instrument. Es fordert eine unbedingte, kontrollierte Artikulation und einen sehr feinen Umgang mit dem Balg. Es macht einfach Spaß, mit diesen nie enden wollenden Herausforderungen zu kämpfen und gelegentlich das Gefühl zu haben, das war jetzt richtig gut. Außerdem lernt man mit keinem anderen Instrument so spielend und nebenbei die Grundsätze unserer westlichen Harmonik kennen. Der Quintenzirkel ist direkt ins Instrument integriert. Und genau das sind die Welten, in denen ich leidenschaftlich gerne versinke, in interessanten Harmonien, in überraschenden, aber zwingenden Wendungen, in reichhaltigen Klängen, in dem Spiel zwischen Spannung und Entspannung. Dafür eignen sich das Akkordeon und das Bandoneon wie kaum ein anderes Instrument.

  • Gibt es das, dass du mal gar nicht spielen oder üben möchtest?

Ja klar. Es ist sogar so, dass ich im Urlaub das Instrument komplett zu Hause lasse und eine ganz bewusste Musikpause mache. Nach ungefähr einer Woche völlig ohne Musik höre ich mir über gute Kopfhörer zum Beispiel Richard Galliano an und bin danach wie im Delirium. Wenn ich nach zwei Wochen das Akkordeon dann selbst in die Hand nehme, klingt es plötzlich wieder sehr viel besser, weil ich es völlig neu entdecken kann. Die Reflexe beim Spielen sind über die Jahre schon ganz gut eintrainiert, die Lockerheit ist nach zwei Tagen wieder da. Im Normalfall aber zwingen mich die anstehenden Konzerte und die vielen unterschiedlichen Programme stetig zum Üben, also muss ich mir über die Motivation eigentlich keine Gedanken machen. Ansonsten lass ich das Instrument schon mal zwei Tage im Keller stehen und gehe dann genüsslich in die Berge zum Gleitschirmfliegen, Schifahren oder Klettern. Es ist wie bei einer Partnerschaft, man will sich auch nicht den ganzen Tag gegenseitig auf dem Schoß sitzen.

  • Wenn das vorkommt, was machst du dann?

Siehe oben.

  • Woher beziehst du (vor allem) neue Ideen zum Spielen (oder auch für eigene Stücke)?

Die Ideen für neue Stücke entstehen spontan, durch Erlebnisse auf Reisen, durch Begegnungen mit Musikerkollegen, durch Eindrücke aller Art. Oder ich zwinge mich mit selbst gemachten Vorgaben, meine gewohnten Bahnen zu verlassen und innerhalb dieser Grenzen so lange zu arbeiten, bis ich mich darin wohl fühle. Oft sind es besondere Harmonieverbindungen, in denen ich mich musikalisch aufhalte, bis ich eine für alle hörbare Logik darin entdecke und flüssig darüber spielen und improvisieren kann. Allerdings müssen viele Ideen auch durch höhere Gewalt, also zum Beispiel eine anstehende CD-​Aufnahme, dazu gezwungen werden, zu erscheinen, und als Arrangement aufs Papier gebannt werden.

  • Kannst du Hobby-​Akkordeonisten den ein oder anderen Tipp geben?

Im Prinzip ist es ganz leicht: einfach nicht aufhören, zu versuchen, dem Instrument immer wieder neue Facetten abzugewinnen. Louis Armstrong hat es auf den Punkt gebracht: „You play what you live“… Es nützt wenig, täglich sechs Stunden im Keller zu üben, wenn ich nichts zu erzählen habe. Erst die Offenheit gegenüber dem Leben, den Kulturen, den Menschen, deren Musik und die Erkenntnis, dass Musik kein Leistungssport, sondern ein künstlerischer Ausdruck des Lebens an sich ist, ebnet den Weg, ein wirklich guter Musiker zu werden. Einer, dem man gerne zuhört. Die Musik ist die einzige wirklich gemeinsame Sprache aller Menschen, mit ihren unendlichen Ausdrucksmöglichkeiten und Färbungen. Man findet sie nicht im Pflichtprogramm von Musikwettbewerben, sondern überall dort, wo aus ganzem Herzen musiziert wird. Aus Freude, nicht aus Ehrgeiz heraus. Musik sollte daran gemessen werden, ob sie fähig ist, die Menschen zu bewegen und zu erheben, nicht daran, wie viele Töne pro Minute jemand in vollendeter Technik durchs Instrument jagen kann. Ich spiele zwar gelegentlich auch Solo, aber immer nur Selbstgespräche zu führen, ist auf Dauer ziemlich langweilig. Gerade die Kommunikation untereinander auf der Bühne ist das Spannende und Inspirierende.

Frank Grischek

Akkordeonist, Komponist und Kabarettist (Hamburg)

  • Was inspiriert bzw. motiviert Sie persönlich (besonders) zum Akkordeonspielen?

Natürlich das Instrument selbst, da es so viele Facetten von Ausdruck und Musikalität zulässt und meiner Meinung nach sogar vom Spieler einfordert. Mich motiviert ständig, eine eigene Spielweise so zu kreieren, dass Hörer mich als Spieler erkennen. Grischek soll möglichst unverkennbar nach Grischek klingen… Das ständig neu zu finden und zu erfinden motiviert mich zum Akkordeonspiel.

  • Gibt es das, dass Sie mal gar nicht spielen oder üben möchten? Wenn das vorkommt, was machen Sie dann?

Natürlich hat man nicht jede Stunde am Tag unbändige Lust sich und sein Akkordeon zu quälen. Aber zum Glück hat man als professioneller Musiker auch immer wieder Dinge zu tun, die nichts direkt mit dem Akkordeon direkt zu tun haben, wie: Rechnungen schreiben, Webseite pflegen, neue Stücke und Moderationen ausdenken, Fotos machen, Pressetexte formulieren und layouten, Veranstalter akquirieren, CDs und Plakate verschicken, Postkarten bedrucken und so weiter… Schön wäre es, wenn man sich als professioneller Musiker nur aufs Musik machen und sein Instrument konzentrieren könnte. Aber der Beruf Musiker hat noch viele weitere Facetten, so dass man im Bereich Grafik, Tontechnik, Studioarbeit, Werbung und Akquise eher als Allrounder gefordert ist. Hat man also keine Lust zum Akkordeon üben, was vorkommt, gibt es genügend anderes zu tun.

  • Woher beziehen Sie (vor allem) Inspiration und neue Ideen zum Spielen (oder auch für eigene Stücke)?

Ich glaube nicht daran, dass man für Inspiration nichts tun kann und so lange warten muss, bis einen die Muse küsst. Kreativität und Inspiration haben auch etwas mit Arbeit zu tun – wenn ich also für den nötigen Rahmen sorge und mich dazu zwinge (oder auch liebevoll auffordere), dann kommt auch immer etwas Kreatives dabei heraus. Inspiration kann dabei alles liefern: meine Stimmung, meine Lust oder Unlust, das Wetter, die Landschaft, die Stadt, das Leben. Alles ist immer da, ich muss es nur greifen und muss Kreativität im Alltag genügend Raum geben. Dabei hilft mir oft gerade das sogenannte „Nichtstun“. Denn da arbeitet es bzw. man natürlich auch. Dasitzen und Gedanken nachhängen – sehr inspirierend…

  • Können Sie aus Ihrer Erfahrung Hobby-​Akkordeonisten den ein oder anderen Tipp geben?

Ein Tipp meinerseits zum Akkordeonspiel wäre: Versucht nicht so zu spielen wie irgendjemand den ihr kennt, sondern vertraut Euch selbst und versucht Euch eine Vorstellung davon zu erarbeiten, wie ihr klingen und was ihr auf dem Instrument zeigen wollt. Ich persönlich habe es aufgegeben vermeintlich besser spielen zu wollen als irgendjemand anderes, denn dieses Ziel erreicht man nie (da sich die Vorbilder auch ständig ändern). Erreichen kann man aber, sich selbst zu zeigen, Gefühle zu transportieren und zu erzeugen und einen Klang zu kreieren. Und das ist meiner Meinung nach das Einzige, was Zuhörer bei einem Konzert mitnimmt und berührt. Einem Musiker bei der Arbeit zuzuhören und zuzusehen und zu spüren, wie er bzw. sie mit seinem bzw. ihrem Instrument verschmilzt. Egal wie schnell die Finger flitzen, und wie schwierig oder einfach das Stück auch sein mag – wirklich überzeugen kann nur der Mensch hinter dem Instrument.

Wendy McNeill

Singer-​Songwriterin, Akkordeonistin, Gitarristin (aus Kanada, Wahl-​Heimat Valencia)

Die aus Kanada stammende Künstlerin Wendy McNeill erzählt gern inspirierte, und inspirierende, Geschichten mit dem Akkordeon. In ihren frühen Singer-​Songwriter-​Jahren begleitete sie ihre Lieder vor allem an der Gitarre. Wie sie dann zudem das Akkordeon für sich entdeckte, ist eine lebensnahe Begegnung mit der Inspiration, die dieses Musikinstrument an sich mit sich bringen kann. Sie hat darüber in einem Gespräch über sich und ihre Musik berichtet:
„Das war eine komische Situation, die sich bei einem Festival in British Columbia ereignet hat, um das Jahr 2000 herum. Das ist eines meiner liebsten Dinge an Festivals, all die Künstler, die man dort trifft, die Begegnungen. Ich traf diesen Mann, einen französischen Clown. Es ist so viele Jahre her, an seinen Namen erinnere ich mich nicht mehr. Er hatte etwa acht Akkordeons dabei, kleine und größere, und er schmiss mir buchstäblich eines entgegen, und rief: ,Probiers einfach!‘ Also probierte ich es, und dann erlebte ich so was wie eine Reise durch die Zeit. Denn er schmiss mir das in die Arme, ich fing an damit herumzuprobieren, und bevor ich es bemerkte, waren sechs Stunden vergangen, und es war rundherum niemand mehr da. Aber ich war immer noch da, und hielt dieses Akkordeon, spielte damit Töne, und probierte einfach diesen Sound, wenn der Balg auf- und zugeht.“

Nach diesem Erlebnis schaute sich die Musikerin in jeder Stadt, die sie auf ihrer Tour besuchte, nach Musikläden um, um sich ein Akkordeon zu kaufen. Am letzten Tag ihrer Tournee fand sie dann ein kleines, rotes Hohner Akkordeon. Das hat sie heute noch. Inzwischen hat sie sich zusätzlich ein Delicia Modell gekauft, das mehr Tasten und Bässe hat. Aus ihren ungewöhnlichen Folk-​Songs sind die Akkordeonparts heute nicht mehr wegzudenken.

 

Johanna Juhola

Akkordeonistin, Komponistin, Musikerin (Finnland)

  • Was war der inspirierendste ­Akkordeon-​Moment deiner Karriere (oder gab es eventuell mehrere)?

Einer der ersten Momente, die für mich als Akkordeonistin wichtig waren, war, als ich Maria Kalaniemi etwas spielen hörte, das Timo Alakotila komponiert hatte. Maria spielte das Akkordeon auf eine sehr feine und lyrische Art, die ich vorher noch nicht gehört hatte, und Timos Kompositionen haben Melodien und Harmonien, die mir wirklich etwas sagen. So waren erstmals mein eigenes Musikinstrument und eine Musik, die ich wirklich mochte, miteinander verknüpft. Als ich in der Highschool war, entdeckte ich Astor Piazzollas Musik. Piazzolla spielte Bandoneon, aber das ist dem Akkordeon ähnlich, und es stand im Zentrum der Musik, die sehr beeindruckend war in der Art, wie sie Tango, klassische Musik und Jazz kombinierte. Ich finde es immer noch interessant, wenn ich entdecke, dass das Akkordeon oder ähnliche Musikinstrumente auf eine kreative und neue Art eingesetzt werden. Die beste Inspiration für mein Akkordeonspiel kam aber von anderen Sachen als Akkordeonmusik. Es ist immer interessant, Dinge zu kombinieren, die vorher noch nicht kombiniert worden sind, etwas zu probieren, und zu sehen, ob es funktioniert. Als ich an der Sibelius Akademie studierte, lernte ich, den Stil der alten Fiddler nachzuahmen, weniger den Stil von Akkordeonisten. Dann spielte ich in einer Popband, und in einer Hip-​Hop-​Band, und es war interessant, rauszufinden, was das Akkordeon in dieser Musik für eine Rolle einnehmen konnte.

  • Ist Inspiration etwas, das sich aus dem Nichts von selbst ergibt, oder kannst du bzw. musst du sie „herstellen“?

Ich habe dauernd kleine, zufällige Ideen. Sie können Ansatzpunkte sein, für eine Komposition, oder für ein visuelles Bild von einer Szene in einem Konzert, Stück, Video oder einer Geschichte, die komponiert werden könnte. Diese Art zufälliger Ideen habe ich ab und zu, und manchmal schreibe ich sie auf und fange an, damit zu arbeiten. Aber manchmal bin ich an einem Ort, wo ich nicht anfangen kann, mit der Idee zu arbeiten, und vergesse sie. Wenn ich ein ganzes Konzert zu einem Thema oder Konzept mache, muss ich mehr daran arbeiten, um zunächst genug Ideen für ein solches Vorhaben zu sammeln. Ich muss mein Gehirn in eine bestimmte Stimmung bringen, damit ich Einfälle zu einem Thema sammeln kann. In diesem Zustand fange ich an, alles durch die Linse des fraglichen Themas zu sehen. Ich google etwas über die Idee, an der ich arbeite, suche Youtube-​Videos und schaue sie an, oder unterhalte mich mit Leuten über das Thema. Oder ich gehe zu Konzerten, ins Kino, ins Theater, schaue mir Tanz oder zeitgenössischen Zirkus an, um den kreativen Bereich meines Gehirns aufzuschließen. Wenn ich genug Ideen zusammen habe, geht es darum, hart zu arbeiten.

  • Verändert sich Inspiration mit dem Alter (und mit der „Akkordeon-Erfahrung“)?

Ich glaube nicht, dass die Fähigkeit, inspiriert zu werden, jemals irgendwohin geht, aber meine Selbstkritik ist größer geworden. Ich denke mehr darüber nach, welche Ideen wert sind, sie weiterzuentwickeln, und welche nicht. Als ich studierte war ich mehr dazu bereit, jede Idee, die ich hatte, umzusetzen. Heute denke ich mehr darüber nach, und muss auch die finanzielle Seite meiner Vorhaben bedenken. Ich versuche das einzuhalten. Aufgrund meiner Erfahrung fange ich nicht an, Ideen zu verwerfen, nur weil mein erster Gedanke ist, sie seien nicht möglich.

Hans-​Günther Kölz

Akkordeonist, Komponist, Orchesterleiter, Dozent (Trossingen).

  • Was war der inspirierendste Akkordeon-​Moment, den Sie erlebt haben (oder gab es eventuell mehrere)?

Es gab natürlich viele wichtige inspirierende Momente in meinem Leben, die sich meistens aus Begegnungen mit hervorragenden Musikern ergaben. Ich möchte zwei davon herausgreifen: Bei der Mitwirkung als 12-​Jähriger Junge bei einer Uraufführung eines Werks von Rudolf Würthner. Dafür bekam ich eine Platte geschenkt mit anspruchsvoller Akkordeonmusik, die mich so beeindruckte, dass ich mir sagte, das möchte ich auch können. Das war die Initialzündung, Profimusiker zu werden. Dann 2012 als Dozent bei der European Jazz Akademy in der Landesmusikakademie NRW, als ich plötzlich im Team von international berühmten Musikern und Musikerinnen war, die ich vorher nur von CDs oder von Konzerten kannte. Hier als Akkordeonist bei den Dozentenkonzerten mitzuwirken war schon eine große Ehre für mich. Aus den Dozentenkonzerten entwickelte ich damals mein „European Jazz Experience“ Projekt.

  • Ist Inspiration etwas, das sich ergibt, oder kann bzw. muss man sie „herstellen“?

Ich würde sagen – beides! Mit meinem Duo-​Partner Matthias Anton (Saxofon) kann ich auf der Bühne stehen und aus dem Stand komponieren. Das ergibt sich einfach, weil wir auf Augenhöhe musizieren und auch die Erfahrung haben, wo es hingehen muss. Das ist ein großes Glück!

Beim Komponieren ist es etwas anders, da kommt die Inspiration über das musikalische Material. Dann schreibt das Stück mit mir. In welcher Art kommt natürlich auf den musikalischen Stil an. Natürlich können auch Personen zur Inspiration beitragen, wie zum Beispiel meine Frau.

  • Verändert sich Inspiration mit dem Alter (oder mit der „Akkordeon-Erfahrung“)?

Als Arrangeur sicherlich, nach mehreren 100 Arrangements, hat man einfach eine große Erfahrung und kann auf der einen Seite Inspirationen leichter umsetzen, auf der anderen Seite wird die „Schatztruhe“ immer leerer. Da ich aber ein Teamplayer bin, habe ich wundervolle Menschen um mich herum, die mich immer wieder zu Neuem inspirieren.

  • Inspiration als Musiker und Inspiration als Dozent, sind das verschiedene Dinge?

Die Inspiration als Musiker sich zu erhalten, neben einem Lehrauftrag, ist nicht immer leicht, weil man dazu Zeit zum üben braucht. Trotzdem ist diese Inspiration für mich notwendig. Die Mitwirkung in den unterschiedlichsten Formationen und dadurch die Begegnung mit den unterschiedlichsten Musikern und Genres, hilft mir, als Dozent glaubhaft zu bleiben. Auf der anderen Seite wird man auch durch seine Studenten und Schüler inspiriert, die einen zu neuen Ideen beflügeln oder methodisches Umdenken erzeugen. Dazu kommen noch die vielen Workshops die ich gegeben habe und noch geben werde, sie sind der Motor für neue Inspirationen und Projekte. Dieses „Zusammenspiel“ hat mir die Freude an meinem Beruf bis heute erhalten.

Andreas Nebl

Akkordeonist, Dozent (Trossingen)

  • Was war der inspirierendste Akkordeon-​Moment, den Sie erlebt haben (oder gab es eventuell mehrere)?

Der inspirierendste Akkordeonmoment war das erstmalige Hören einer CD meines späteren Lehrers Hugo Noth. Dieser Moment schenkte mir den Glauben, dass man am Akkordeon mit „klassischer Schönheit“ bzw. „Wahrheit“ musizieren kann. Ansonsten gab und gibt es für mich bis heute tagtäglich sehr viele inspirierende Momente, und zwar immer dann, wenn in meinem Bewusstsein durch einen Akkordeonton lebendige Veränderung stattfinden darf.

  • Ist Inspiration etwas, das sich von selbst ergibt, oder kann bzw. muss man sie „herstellen“?

Vollkommen selbst herstellen lässt sich die Inspiration aus meiner Sicht nicht. Es benötigt stets das Andere, das Überraschende im Leben – das Lebendige, z. B. Dinge, die einem gefallen, Umstände oder Begegnungen, die einen in ihrer Anmut bewegen. Ich denke Inspiration hat im Grunde mit der Hinwendung zur Schönheit zu tun. Es ist wie bei Erich Fromm, der gesagt hat, die Liebe sei eine Kunst die man erlernen kann. Das, so glaube ich, trifft auch auf den Bereich der Inspiration zu.

  • Inspiration als Musiker und als Dozent, sind das verschiedene Dinge?

Die Inspiration als Musiker unterscheidet sich von jener als Dozent dahingehend, dass ich als hörend agierender Musiker vorwiegend selbständig geistig arbeiten kann. Das erleichtert den Zugang zur Inspiration, weil man die Reise ohne Umwege selbst bestimmen kann. Die Inspiration als Dozent ist eng verknüpft mit dem kommunikativen Handeln im Unterricht. Es gibt Studierende die ähnlich wie ein Kammermusikpartner durch ihre Neugierde, einen bestimmten Charakterzug oder ein bestimmtes Erscheinungsbild für mich als Lehrperson von vorne herein sehr inspirierend sind. Das Vertrauen zwischen Lehrperson und Studenten ist ein sehr wichtiges Kernelement für einen inspirierten Unterricht. Aus diesem Grund sehe ich es als eine der wichtigsten Aufgaben eines Pädagogen an, gerade auch in den weniger glücklichen Momenten eines Studierenden Inspiration geben zu können. Und: ich glaube es ist als Musiker wie als Pädagoge gleichermaßen wichtig, an den möglicherweise weniger inspirierten Tagen das tägliche Tun gegebenenfalls „sportlich“ zu nehmen, und das Lehr-, Studier- bzw. Übepensum einfach zu tun. Diese Einstellung ist aus meiner Sicht nicht zu unterschätzen – sie gehört auch zum Weg der Inspiration!