Mystische Songs - Wendy McNeill

Zuerst zog es Kanadierin Wendy McNeill zum Tanzen, dann immer mehr zur Musik. Ein ulkiger Zufall wollte es, dass sie in ihren frühen Jahren als Singer-Songwriterin das Akkordeon entdeckte. Damit begleitet sie seitdem, abwechselnd mit der Gitarre, ihre Folksongs, die durch Pop-, elektronische und Variété-Elemente mitgeformt sind. Überall, wo sie lebte, nahm sie eine besondere Vorliebe für weite, naturnahe Landschaften mit. Einige solche Szenerien werden in ihren Songs reflektiert - und dort bevölkert mit fantasievollen Figuren.

 

Text: Christina M. Bauer

Fotos: Both Hemispheres, Catherine Gaffiero, Detlef Kinsler, Manual Pedrajas.

Wendy McNeill ist eine Geschichtenerzählerin. Zu ihren Mitteilungsmitteln und ständigen Begleitern zählt seit vielen Jahren das Akkordeon, genauer gesagt, zwei Akkordeons. Die Ideen für ihre originellen Songs sammelt die kanadische Künstlerin überall in der Welt. Da trifft es sich auf eine Art womöglich ganz gut, dass es mit dem Reisen in ihrem Leben schon früh losging. In ihrer Heimat Kanada lebte sie in den Städten Calgary und Edmonton in der Provinz Alberta, verbrachte einige Jahre in New Brunswick in Ostkanada, dann in Ontario und schließlich im Westen in British Columbia. Grund für das doch recht häufige Umziehen war anfangs vor allem ihre Mutter. "Sie war sehr mutig", sagt McNeill über sie. Als erste Frau in der Familie hatte sich Yvonne-Marie LeBlanc dazu entschieden, eine formelle Ausbildung an einem College zu absolvieren. So wurde die Tochter einer französischen Familie mit insgesamt neun Kindern schließlich Sozialarbeiterin. Allerdings neigte sie Zeit ihres Lebens dazu, woandershin zu ziehen, wenn in einer Region etwas nicht gut klappte. Das brachte Tochter Wendy die frühen Umzüge ein.

 

Ihr Vater Clarence McNeill stammte aus einer irisch-schottischen Großfamilie und war selbst sogar mit achtzehn Geschwistern aufgewachsen. "Die meisten von ihnen sind Musiker", berichtet Tochter Wendy. Ihr Vater selbst war von Beruf zwar Mechaniker, zugleich aber sehr musikalisch. Er spielte Mandoline, Gitarre, Banjo, und etwas Akkordeon. Bis heute macht er Musik. "Er ist dafür bekannt, dass er vom Fleck weg einen Song schreiben kann", so McNeill. Das tut er etwa am Lagerfeuer, einem in New Brunswick beliebten Ort für gesellige Treffen und Feiern. McNeills Mutter musizierte ebenfalls, sie spielte etwas Gitarre. Ihr Yamaha Modell aus den 1970ern hat ihre Tochter Wendy noch heute. Es ist ein besonderes Erinnerungsstück, nachdem die Mutter vor einigen Jahren verstarb. Der Vater lebt seine musikalische Begeisterung bis heute aus. Nicht zuletzt kauft er gern alles auf, was ihm jemand an Musikinstrumenten vorbeibringt. Wenn es nicht mehr spielbar ist, kauft er es trotzdem. "Er hat sein eigenes, kleines Musikmuseum", schmunzelt McNeill über das Ergebnis. Sein Dorf, Minto, hat ihn schon mehrmals für sein Engagement ausgezeichnet. McNeill hat eine Schwester, Lynn, und einen Bruder, Russell. Beide sind etwa zehn Jahre älter als sie und leben heute in der Region um Calgary. Zwar machen sie nicht hauptsächlich Musik, spielen aber nebenbei ein wenig Mandoline und Gitarre.

 

Eine Tänzerin wird Musikerin

Wendy fing mit etwa acht Jahren an, Gitarre zu spielen. Unterricht nahm sie nie. Meist spielte sie im Sommer bei Familientreffen. Im College in Edmonton begann sie mit etwa 18 Jahren, eigene Songs zu schreiben. Zu der Zeit begeisterte sie sich für modernen Tanz und nahm an einem entsprechenden Programm teil. Sie wollte Tänzerin werden. "Irgendwann wollte ich Musik für meine Tanzstücke", erklärt die Künstlerin. "Aber ich konnte anderen Musikern nicht erklären, was sie für mich schreiben sollten, denn ich selbst notierte Musik nie. Also fing ich aus purer Notwendigkeit heraus an, selbst zu spielen, um die Melodien und Klanglandschaften zu bekommen, die ich wollte." Eigens dafür begann sie, sich mit Klavier und Keyboard auseinanderzusetzen. Wie bei der Gitarre und dem Singen brachte sie sich alles selbst bei. Das Tanzen blieb eine ganze Zeit lang ihre Priorität. Als 23-jährige zog sie nach Vancouver in den Westen Kanadas. Dort arbeitete sie freiberuflich, präsentierte eigene Stücke und machte Choreografien. Sie schlug sich immer wieder mit Vortanzen für Ensembles herum. Das machte ihr allerdings Angst und klappte nie so wie sie es wollte. Mit der Zeit lernte sie immer mehr Musiker kennen. Schließlich fing sie an, wirkliche Songs zu schreiben, statt reiner atmosphärischer Klanglandschaften zum Tanzen. Zeitweise spielte sie ihre Songs auf Straßen oder Plätzen, was ihr ein wenig Geld einbrachte.

Schließlich überredete sie jemand aus ihrem Freundeskreis, bei einem Songwriting-Wettbewerb mitzumachen. Sie gewann, und bekam als Preis die Möglichkeit, ihr erstes, eigenes Album einzuspielen. Außerdem durfte sie beim Edmonton Folk Festival auftreten. "Das half mir, daran zu glauben, dass meine Songs okay waren, dass es Songs waren, die andere Menschen wertschätzen würden", erinnert sich die Musikerin. Es war die Bestätigung, die sie zu der Zeit brauchte, um sich musikalisch weiterzuentwickeln. Ihr erstes Album "To whom it may concern" gab es damals nur auf Kassette. Drei Exemplare hat sie bis heute. Es war der Anfang einer anderen künstlerischen Karriere, als der, die sie anfangs im Kopf gehabt hatte. "Ich fing an, mit den Jazzmusikern der Community zu spielen", so McNeill. Gleichzeitig lernte sie Singer-Songwriter kennen und arbeitete mit ihnen, etwa mit der besonders in Kanada bekannten Musikerin Jann Arden. Das Tanzen vergaß die junge Kanadierin darüber nicht, und sie war von anderen künstlerischen Formen ebenfalls fasziniert. Sie versuchte, wann immer es möglich war, verschiedene Aspekte davon zu integrieren. Wenn es irgendwo ein neu veröffentlichtes Repertoire zu feiern gab, organisierte sie eine künstlerisch vielseitige Veranstaltung. Das konnte Tanz in Kombination mit der Musik sein, oder eine visuelle Kunstprojektion. Bis heute reflektieren die Videos zu ihren Songs diese Neigung. Sie werden oft in ungewöhnlichen Settings gedreht, verknüpfen Elemente von Schauspiel, Theater und Tanz.

ZITAT.

"Irgendwann wollte ich Musik für meine Tanzstücke. Aber ich konnte anderen Musikern nicht erklären, was sie für mich schreiben sollten."

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