Dunkle Poesie - Joanna Gemma Auguri
Melancholisch und fantasievoll gestalten sich die Lieder von Joanna Gemma Auguri. Von Boleslawiec fand sie ihren Weg über Göttingen nach Berlin, vom Schauspiel zum Singer-Songwriting. Einiges von ihrem Stil formte sie in ihrer Zeit mit der Band "The Cold Hand" und im bis heute bestehenden Duo "Poems for Laila". Immer mehr wagt sie sich jetzt an Solokonzert und Improvisation, mit Gesang, Looper, Effektpedalen - und Akkordeon. Noch im Mai möchte sie ins Studio gehen und ihr erstes größeres Solo-Album "11" einspielen. Um ihren vielschichtigen, düster-atmosphärischen Folkpop ab und zu um etwas leichtere Nuancen zu ergänzen, hilft ihr die Akkordzither.
Text: Christina M. Bauer; Fotos: Jan Hollants, Andrea Wolf, Meighan Ellis, Peter Lay, Jan Ganschow, privat
Es gab in Berlin einen Saddest Music in the World Contest an der Volksbühne. Der ungewöhnliche Wettbewerb endete 2018. Er reflektiert eine Facette der Musikerin, die ihn gestaltet und moderiert hat. Singer-Songwriterin Joanna Gemma Auguri, wie sie sich mit ihrem Künstlernamen nennt, lebt ihr halbes Leben schon in der deutschen Hauptstadt. Sie teilt dort, wie überall sonst, wohin sie geht, sei es Frankreich, England, Neuseeland oder Australien, künstlerisch oft das Melancholische, Schwermütige und manchmal düster Verträumte. Im Videointerview von Berlin aus gibt sie am letzten Apriltag Einblicke in ihre Ideenwelt, und in ihre persönliche Welt. Die gebürtige Polin hat die ersten fünf Jahre ihres Lebens im kleinen Ort Boleslawiec auf dem Land am Fuß eines Gebirges verbracht. Eltern, Großeltern und sogar Urgroßeltern lebten zusammen auf einem alten Bauernhof. Schnell zeigt sich, dass in ihrer familiären Geschichte weit mehr als polnische Einflüsse wichtig waren. "Wir sind ein sehr bunter Haufen", berichtet Joanna. "Meine Opa ist halber Franzose und halber Pole, meine Oma ist Schlesierin, mütterlicherseits. Väterlicherseits ist meine Oma Ukrainerin und mein Vater Pole."
In Frankreich lebten Familienangehörige, und Joannas Mutter brach 1982 alle Zelte ab, um dort neu anzufangen. Sie hatte sich von ihrem Mann getrennt und einen neuen Partner kennengelernt. Außerdem waren in ihrer Heimat die politischen Zeiten ungewiss, niemand wusste, was die nächsten Jahre bringen würden. Allerdings kamen die Auswanderer nie in Frankreich an. "Wir sind losgefahren in dem kleinen Fiat Polski, und sind bis Göttingen gekommen", erinnert sich Joanna. Zu dieser Zeit des Eisernen Vorhangs und der strikt kontrollierten Grenzen war bereits der Weg bis dorthin mühsam. In Deutschland bekam die Familie die notwendigen Visa, und das vor allem wegen der eigenen deutschen Verwandtschaft durch die schlesische Oma. Noch einmal langwierig bürokratische Hürden überwinden, um nach Frankreich zu gelangen, das ließen sie sein. Seitdem lebt Joanna hier. "Ich denke da oft drüber nach, wenn wir nur einige Kilometer länger gefahren wären", stellt sie fest und lacht. "Dann wäre ich jetzt französisch aufgewachsen und hätte eine andere zweite Muttersprache. Wie das Schicksal so spielt." Nun ist der Blick in den braunen Augen ruhig und nachdenklich geworden. Göttingen also. Anfangs fehlte dem Mädchen das Landleben. Zumindest konnte sie in den Ferien ihre Großeltern besuchen.
Zwischen den Welten
"Ich habe zwei Welten kennengelernt", resümiert sie. "Die deutsche, die immer sehr streng, geordnet und ernst war, also tatsächlich, alle Klischees. In Polen waren natürlich Ferien, klar. Ich bin mit den Kids im Sommer die ganze Zeit draußen rumgelaufen, durfte im Garten schlafen und Zelten." Das "wilde Leben" nennt sie das rückblickend. Die Nähe zur Natur ist geblieben, selbst wenn die Künstlerin seit Jahrzehnten meistens in Städten wohnt. In Göttingen bekam sie eine sechs Jahre jüngere Halbschwester. Joanna war klein, als sie umzog, sie konnte sich bald kaum mehr erinnern an ihren leiblichen Vater. Das Thema ließ sie aber nie so ganz los. Als 21-jährige machte sie sich mit einer Freundin auf die Reise nach Polen, um ihn als Erwachsene zu besuchen. "Das fand ich ziemlich irre", erinnert sie sich. "Du stehst da auf der Treppe, da macht einer die Tür auf, und der sieht aus wie du." Besonders erstaunt war sie über die Gemeinsamkeiten. "Ich muss feststellen, dass ich Eigenschaften von ihm habe, die konnte ich mir niemals abgucken, die sind einfach da", sagt sie. Zumindest einiges davon muss durch die leibliche Verwandtschaft bedingt sein. Die beiden entwickelten einen freundschaftlichen Kontakt, wenn es auch gefühlt nie eine Vater-Tochter-Beziehung wurde. Dazu kam, dass Joanna nicht viel Polnisch spricht, ihr Vater wiederum kein Deutsch. Über ihren Stiefvater mag sie nicht viel sprechen. Ihrer Mutter und ihrer Halbschwester fühlt sie sich wesentlich näher, das ist bis heute so.
Den Weg, den sich ihre Mutter für sie vorgestellt hatte, ging sie allerdings trotzdem nicht. Die Oma war Schuldirektorin, die Mama Lehrerin, da schien die Sache fast klar. "Meine Mutter hat sich natürlich so einen Weg für mich gewünscht", so Joanna. "Ich hatte natürlich ganz andere Ideen. Das Mystische, die Natur und die Musik, das hat mich gefesselt." Als Mädchen war die Künstlerin häufig allein unterwegs und sang für sich stundenlang Lieder. Manchmal entstanden in ihrer Fantasie Figuren, die mit ihr sangen. Inspiration brachte ihr nicht zuletzt die Kirche. Die Orgel, der polyphone Gesang, die andächtige, weltentrückte Atmosphäre, das beschäftigte das Mädchen. Relativ früh zog sie von der Familie weg. "Mit 17 habe ich das Haus verlassen und habe viel erlebt auf dem Weg, es waren viele Brüche dabei." Sie lebte phasenweise in Göttingen, Hannover und Hamburg, wo sie die Schauspielschule besuchen wollte. "Da war mir schon relativ klar, es muss in irgendeiner Form die Bühne sein", erinnert sich Joanna. "Schauspiel fand ich spannend. Ich dachte, da kann ich all meine Persönlichkeiten ausleben, die ich sonst nicht ausleben darf." Das Vorsprechen brachte sie bei manchen Hochschulen zwar durch einige Vorrunden, am Ende aber doch nicht an einen der begehrten Studienplätze. Dazu kam, dass Joanna mit der Atmosphäre in der Hansestadt nicht so richtig warm wurde. Sie entschied sich für Berlin und ließ sich dort am Europäischen Theaterinstitut, einer privaten Schauspielschule, ausbilden. Für sie war das eine tolle Erfahrung. "Das war der Superstart in meine spannende Berlinzeit, in der ich viel erleben konnte", so die Sängerin. Von Musiklehrer Robert Mau ist sie bis heute sehr angetan, von ihren Gesangs- und Sprechlehrern lernte sie ebenfalls eine Menge. Vor allem Mau wurde zu einem Mentor, der noch Jahre später mitverfolgte, wo seine Schülerin unterwegs war. "Der stand plötzlich in meinen Konzerten vor der Bühne", erinnert sich Joanna.