Gestaltwandlerin - Erika Stucky
Hippie, Hexe oder Heldin, die Vokalistin und Schauspielerin Erika Stucky inszeniert sich gern. Die Figuren können schrill und quietschbunt sein, düster oder dramatisch. Ihr musikalischer Stilmix kombiniert Schweizer Jodeltradition, erdigen Blues, Jazzscat und amerikanischen Folk, samt Ausflügen bis auf die klassische Opernbühne. Ihren Gesang begleitet sie oft am Klavierakkordeon. Das ist klein - und trotzdem ein wesentlicher Teil der Musik.
Text: Christina M. Bauer / Fotos: Mirco Taliercio, Archiv Stucky, Gina Folly, Francesca Pfeffer, Fokke Hoekman, Felix Streuli, Palma Fiacco, Christina M. Bauer, René Mosele.
Singen, Schauspielen, Akkordeonmusik, meist ist von all dem etwas dabei, wenn Erika Stucky auf die Bühne geht. Es darf exzentrisch zugehen, schrullig oder provokativ. Ob sie sich als Spinnenfrau inszeniert, in der Oper eine Hexe gibt, oder als Hippiemädel auftritt, düster oder schrill, quietschbunt oder pastellfarben, irgendwo zwischen Bonbonfabrik und finsterem Märchenwald, jedenfalls mit Musik. Im Februar besucht sie München, um Freunde und Bekannte zu sehen. Zwischendrin nimmt sie sich Zeit für ein Interview mit dem akkordeon magazin. In dem gemütlichen Münchner Café ist die Hippieära weit weg, räumlich und zeitlich. Stucky kann sich daran allerdings gut erinnern. Schließlich war sie mittendrin, in der Flowerpowerzeit in San Francisco in den 1960ern. Ihr Großvater Theodor war 1907 in die USA ausgewandert, als 17-jähriger, seitdem lebte die Familie dort. Als Stucky, ihre Schwester und ihr Bruder klein waren, waren zum Aufpassen gelegentlich "bewusstseinserweiterte Kathmandu-Rückkehrer" bei ihnen zu Hause, wie die Schweizerin berichtet. Was sie als besonders erinnert, ist die positive Aufmerksamkeit, die ihr trotz ihrer jungen Jahre zuteil wurde. Gleichzeitig ist sie froh, dass sie ihre Pubertät nicht in dieser Region erlebte. Da war die Familie bereits in die Schweiz gezogen, ins wesentlich ruhigere Wallis. Dort war von freier Liebe jedenfalls nichts zu bemerken. Die war wohl in San Francisco wie anderswo mehr eine Männerfantasie, stellt Stucky fest. Was sie ins Wallis mitnehmen konnte, war eine Menge Inspiration aus der Folk und Pop Szene. "Im Golden Gate Park bist du damals an einer The Mamas and the Papas Sängerin vorbeigelaufen, Bob Dylan war da, Donovan war da, die waren alle da", so die Musikerin. "Das war gar nicht so was Besonderes." Überall sah sie inspirierende Persönlichkeiten, ob das John F. Kennedy und Jackie Kennedy war, Malcolm X, Jimi Hendrix oder Harvey Milk. "Da dachte ich mir, gut, alle Erwachsenen machen so Wahnsinnssachen", erinnert sich Stucky.
Hippies in der Schweiz
Als sie mit etwa 10 Jahren im Wallis ankam, um von da an dort zu leben, zeigte sich ihr eine andere Szenerie. "Es war nicht kalt, aber viel verhaltener", fasst sie das in Worte. Ihre Familie wurde anfangs schon wegen der Schlaghosen und der bunten Kleidung schief beäugt. Die Resonanz für kreative Ideen war bei Weitem nicht so wie in San Francisco. Ein entsprechender beruflicher Werdegang galt nicht als alltäglich, wurde von manchen wohl zunächst als sonderbares Vorhaben angesehen. An dem Wunsch, Musikerin zu werden, änderte das nichts. "Das war immer klar, ich schwör's", stellt Stucky dazu fest. Selbst wenn jemand im Sinn gehabt hätte, ihr das auszureden, hätte das nichts gebracht. Gitarre probierte sie in jungen Jahren, Saxofon und Klavier, geblieben ist vor allem Gesang. Das Akkordeon spielt sie dazu als Begleitinstrument, seit inzwischen 20 Jahren. Während sie sich im Singen hat unterrichten lassen, hat sie am Akkordeon alles selbst gelernt. Vom Klavier aus konnte sie vieles ohne Weiteres an den vertikalen Tasten anwenden. Für eine wichtige Phase ihrer künstlerischen Ausbildung ging sie nach Paris. Sie lernte an der Jazzschule Centre d'Information Musicale (CIM) und studierte gleichzeitig Schauspielerei. Dass sie sich mit beidem intensiv auseinandersetzte, schien ihr schlüssig. Nicht zuletzt hatte sie erste Ideen, wie es im Musikgeschäft zugehen müsste, aus amerikanischen Filmen wie The Rat Pack. "Die kamen auf die Bühne, und haben erst einige Späße gemacht, schöne Soli gesungen, im Song zum Publikum gesagt: How are you guys? Ich dachte, das macht man so." Stuckys eigene Inszenierungen haben heutzutage ihrerseits oft eine humorige Komponente. Sie trägt nicht nur vor, sondern redet ihre Zuhörer gerne unmittelbar an, fragt etwas, bezieht die Leute ein. Ihre schrulligen Versionen von per Jodelblues dargebrachten menschlichen Dramen und Plagen wirken per se schon oft etwas kabarettistisch. Offensichtlicher wird das, wenn sie die Szenerie erweitert, etwa lauthals ins leere Treppenhaus im Saal jodelt, oder mit Drumsticks jedes geeignete Objekt in der Umgebung schlagzeugerisch zweckentfremdet.