Die Kunst des Crossover - Pietro Roffi

Die Kunst des Crossover - Pietro Roffi

Er begann mit klassischem Repertoire, und fand Ergänzungen in Filmmusik, Electronics und Popsounds. In einer Kooperation mit Dario Marianelli konnte Pietro Roffi aus dem italienischen Valmontone schon zwei Soundtracks am Akkordeon mit einspielen. Für sein Debut "1999" machte er selbst den Schritt vom Interpreten zum Komponierenden. Jetzt möchte er jede dieser Richtungen weiterverfolgen.

Text: Christina M. Bauer; Fotos: Alessio Panichi, Daniel van der Meer

Orchester, Film, Popsound oder Ambient Electronics? Für den 27-jährigen Musiker Pietro Roffi muss es wohl etwas von allem sein. Der junge Italiener hat bereits in verschiedenen Ländern Europas, Lateinamerikas und Asiens gespielt. Oft stand er als Solist mit Orchester auf der Bühne. In seinem Repertoire sind Komponisten wie Scarlatti, Chopin und Bach zu finden. Andererseits zieht es den Akkordeonisten zur Filmmusik. Seit seiner Begegnung mit Komponist Dario Marianelli im Jahr 2017 hat er zwei Soundtracks mit eingespielt, für die Filme Nome di Donna und Pinocchio. Dann ist da die ganz eigene Sphäre von Electronics und Pop. Pietro sucht solche Sounds, er liebt alte Synthesizer, verwendet gern Ergänzungen und Veränderungen zum Akkordeonklang. Auf seinem vor wenigen Monaten veröffentlichten Debut 1999 stellt er ein Solorepertoire vor, das die unterschiedlichen Stile und Einflüsse integriert. Im ländlichen Valmontone ist eine stabile Internetverbindung für Videointerviews nicht garantiert. Daher sprach der junge Musiker im April von der dortigen Quarantäne aus im schriftlichen Interview mit dem akkordeon magazin über den Weg zur Bühne, künstlerische Inspiration, seine Sicht auf musikalische Stile und die Auswirkungen der Coronapandemie.

- Du sagtest, du bist derzeit auf dem Land. Das ist in Valmontone?

Genau, das ist eine kleine Stadt 40 Kilometer von Rom entfernt. Ich bin hier aufgewachsen und bin einen Großteil des Jahres hier. Selbst wenn ich oft reise, habe ich hier meinen Hauptwohnsitz.

- Wir hören aus Italien viele schlechte Nachrichten wegen der Coronapandemie. Wie ist die Situation im Moment? Fühlst du dich sicher?

Im Moment ist die Situation sehr schlimm, wir haben die kritische Periode nicht überwunden. Menschen sterben und Krankenhäuser brechen zusammen, ich wünschte wirklich, dieses Monster würde sofort aufhören. Diese ganze Situation berührt mich, und ich fühle mich den Menschen sehr nah, die wegen dieser Pandemie leiden.

- Was bedeutet das für dich das als Musiker, etwa abgesagte Tourneen, Konzerte und solche Dinge?

Das ist ein Nebenaspekt. Alle Konzerte sind für die nächsten Monate abgesagt und wir wissen nicht, wie lang das so bleibt und ob die Veranstaltungen neu organisiert werden. Alle sonstigen Vorhaben, wie das neue Album, Kooperationen, Sponsoring, sind im Moment eingefroren.

- Du nutzt offenbar die zusätzliche Zeit dafür, um zu Komponieren, und für kreative Projekte. Mit einem Trio hast du eure neue Single "Daydream" veröffentlicht. Werdet ihr weiteres Repertoire ergänzen?

Stimmt, ich nutze die Zeit, um die Zukunft zu organisieren, und zum Komponieren. Gian Marco Castro, Matthew S und ich haben diesen neuen Track veröffentlicht, weil wir das Gefühl hatten, wir müssen sagen, dass Musik nicht endet. Ich habe Ideen, aber ich weiß nicht, ob ich weitere Tracks veröffentlichen möchte. Wenn ich nicht das Gefühl habe, dass es notwendig ist, mache ich das nicht. In dieser traurigen Zeit setzen eine Menge Leute Musik falsch ein, ich mag beispielsweise keine Flashmobs auf den Balkonen. Stell dir vor, um die Ecke gibt es eine Familie, die soeben einen ihrer Lieben verloren hat.

- Erinnerst du dich an den ersten Moment, als du ein Akkordeon gehört oder gesehen hast?

Es war Sommer und ich war mit meiner Familie bei einem Folkfestival oder so etwas in der Stadt. Ich sah diese seltsame, magische "Music Black Box", die ein Mann auf der Bühne spielte. Das hat mich so umgehauen, dass ich meinen Vater fragte, ob er mich zum Unterricht bringt. Einige Wochen danach begann meine Reise mit dem Akkordeon. Das war 1999, im September, in einer kleinen Musikschule nahe meiner Heimatstadt. Mein erster Lehrer hieß Onorio.

- Gab, oder gibt es, weitere Musiker in deiner Familie - Eltern, Geschwister, Tanten, Onkel, Großeltern, oder andere - oder bist du der erste?

Niemand in meiner Familie spielt oder hat jemals gespielt. Ich bin der erste Musiker, ich schätze, einer muss der erste sein!

- Welche Akkordeonisten in Italien oder anderswo hast du dir angehört? Waren sie Vorbilder für dich?

Ich denke, jetzt ist mein einziges Vorbild Richard Galliano, nicht wegen seines Stils oder seiner Musik, sondern vor allem wegen seiner prophetischen Vision des Akkordeons, die er schon vor 30 oder 35 Jahren anwendete. Er hatte über Jahre die erstaunliche Fähigkeit, uns allen immer einen Schritt voraus zu sein.

- Wann und wie hast du entschieden, nicht nur als Hobby zu musizieren, sondern ein professioneller Akkordeonist zu werden?

Das ist, glaube ich, keine Entscheidung, sondern im Idealfall eine Berufung.

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