Ein seltener Sound: Hohner Imperator VS
Ein Meisterwerk des Akkordeonbaus: Als einer von wenigen nennt der Designer und engagierte Hobbyakkordeonist Norbert Balzer ein Hohner Imperator VS Akkordeon sein Eigen. In seinem Artikel stellt er das ungewöhnliche Musikinstrument und seine Besonderheiten vor.
Text und Fotos: Norbert Balzer
In der Kategorie der sogenannten Handzuginstrumente findet sich eine schier unübersehbare Vielfalt von Modellen, wie bei kaum einer anderen Instrumentenklasse. Allein in der Hohner-Liste der Akkordeons und Harmonikas von 1928 bis 2006 stehen fast 500 Modelle in verschiedenen Größen, Typen und Ausstattungen. Rechnet man die Modelle aller Hersteller weltweit zusammen, darf man von mehreren tausend ausgehen.
In der Hohner-Liste steht ein Name, der wie kein anderer für die Begeisterung der dortigen Techniker stand, ein Akkordeon zu bauen, das es bis dahin noch nie und seitdem auch nie wieder gab: Imperator VS (= 5 Spezial). Der Name war dabei sozusagen Programm und keineswegs zu hoch gegriffen.
Die technischen Daten sind zunächst mal nicht besonders aufregend: 41 Tasten, 120 Bässe, 5-chörig, Cassotto, 29 + 1 Diskant-Register, 7 Bass-Register. Nur die Zahl der Diskant-Register lässt aufhorchen und macht neugierig auf das, was sich im Inneren des Instruments verbirgt.
Und das ist nicht wenig! Nicht nur, dass es ein 32'-Register hat, mit dem sich im Orchester auch eine Bassbegleitung realisieren lässt. Zusätzlich weist es die 2 3⁄4 (!) Quintmixtur als eine Art Exoten aus, der sich von anderen Akkordeons grundsätzlich unterscheidet.
Ein Akkordeon mit Orgelsound
Wolfgang Fachmann, Akkordeonbaumeister in Vindorf bei Lüneburg, schreibt dazu in einer Expertise: „Ziel der besonderen Konstruktion war es, dem Klang einer Kirchenorgelmixtur nahe zu kommen. Dafür wurden Stimmzungen außerhalb der regulären Serienproduktion angefertigt, die in keinem anderen Instrument verwendet wurden. Sie wären bei Verlust oder Schaden nur von Fachleuten herstellbar.“
Nun könnte man denken, das Modell sei deshalb nur für sakrale Zwecke zu gebrauchen. Aber: Ich selbst habe es sehr erfolgreich in Akkordeon-Orchestern eingesetzt, vor allem dort, wo es um solche Stimmen ging, die sonst meist von Keyboards gespielt werden. Von den Registrierungsmöglichkeiten und vom Klang her setzte sich dieses Akkordeon dabei von anderen ab, ohne als akustischer Fremdkörper zu wirken.
Als besonders gelungenes Beispiel für den sinnvollen Einsatz kann der Bolero von Maurice Ravel gelten. Von der Oboe bis zur tiefen Posaune konnte das Akkordeon die verschiedensten Solo-Stimmen bedienen, nicht mit der Absicht einer hundertprozentigen Imitation, sondern als authentische Bereicherung des Orchesterklangs. Es überzeugte mit einem Sound, der sich harmonisch in den Orchesterklang einfügte, aber trotzdem im Sinne des Stückes akustisch wahrnehmbar wahr. Keyboards wirken im Akkordeon-Orchester oft weniger passend, sozusagen wesensfremd. Weitere Stücke, in denen das Akkordeon erfolgreich eingesetzt werden konnte, waren u. a. Teufelstanz von Hellmesberger, Säbeltanz von Khatchaturian, Märsche, Polkas, die Toccata und Fuge d-Moll von Bach und die Orgel-Toccata von Charles-Marie Widor. Vor allem in den letzteren Stücken konnte das Akkordeon dank seiner „Orgelstimmung“ überzeugen.
Was hat die Firma Hohner überhaupt bewogen, so ein Instrument zu bauen, das ohne Tremoloregister so gar nicht in die damalige Akkordeonwelt passen wollte? Alfred Dörfler aus Trossingen, ein stupender Kenner der Unternehmenshistorie, hat dazu interessante Informationen.
So soll es bei den Verantwortlichen in den Jahren von 1950 bis 1970 Diskussionen darüber gegeben haben, wie ein modernes Akkordeon auszusehen hat. Dabei stand die „Metall-“ gegen die „Holz-Fraktion“. 1953 wurde mit der Atlantik erstmalig die Metallbauweise eingeführt, in der danach auch noch andere Modelle gebaut wurden. Trotzdem wurden weiter Akkordeons aus Holz gebaut, vor allem die Morinos und Golas, sowie weitere Modelle. Letztlich blieb es dann doch beim Holz, und bis heute schwören namhafte Akkordeon-Manufakturen auf die Holzbauweise. Es werden teilweise sogar gezielt Holzarten mit spezifischen Klangeigenschaften genutzt, z. B. bei der Firma Victoria.
Im Vergleich: Imperator V und Imperator VS