Dieser Artikel stammt aus akkordeon_magazin, Heft #29 vom Dezember 2012/ Januar 2013
Wechsel zwischen den Welten
Die Band Kellerkommando verbindet Tradition und Moderne.
Text: Claus Aktoprak; Fotos: Frank Vinken, Severin Schweiger
Volksmusik? Volksmusik! Nicht als Gag, als ulkige Idee, als fröhlicher Einwurf zwischendrin. Sondern als Kernkompetenz, als das besondere Gut, als etwas unbedingt Erhaltenswertes. Doch trotz eines Selbstverständnisses als fränkische Volksmusikgruppe steht das siebenköpfige Kellerkommando aus Bamberg mit allen 14 Beinen im Hier und Jetzt, in der Moderne, der Popkultur und urbanen Musik. „Auch Volksmusik war immer Popmusik“, befindet der Kellerkommandeur, Sänger und Akkordeonspieler Dada Windschi (alias David Saam). Das beweisen die Konzerte von Kellerkommando. Sie sind regelrechte Messen des ambitionierten Frohsinns, wo der Rock von heute auf Instrumente und Mundart von Vorvorgestern trifft. Zum Akkordeon sowie den klassisch in einer Blaskapelle geschulten Trompeten und Posaunen gesellen sich Drums, Bass, Keyboards und ein Rapper mit pakistanischen Wurzeln. Tradition trifft urbane Modernität, Dialekt battelt sich mit Deutsch-Rap.
Mit „Mondscheinbrüder“ liefern Dada Windschi, Rapper Ali A$, Bassist Sebastian Schubert, Keyboarder Patrick Köhler, Trompeter Stefan Schalanda, Posaunist Ilya Khenkin und Drummer Norbert Weinhold nun ihre erste EP mit Studioaufnahmen ab, ein erstes Album soll Anfang 2013 folgen. Auch diese Aufnahmesessions beweisen, wie sehr bei ihnen alles geht: Pumpende Bassdrums mischen sich mit Offbeat-Bläsern, Vocoder-Effekte spielen mit Akkordeonweisen, knallige Raps reiben sich an Schunkelrefrains. Selten gingen Kontraste dermaßen gut zusammen – als hätte die Welt nur auf Kellerkommando gewartet!
Für das akkordeon magazin traf sich Claus Aktoprak mit Akkordeonist und Sänger Dada Windschi zum Interview.
Der Akkordeonist als Kellerkommandant
Woher kommt der Name Kellerkommando?
Keller klingt nach Untergrund und hat so etwas Subkulturelles, und bei uns in Franken, da gibt es Bierkeller. Das sind quasi die Biergärten, die auf die Lagerkeller gebaut wurden ‒ und dann geht man „auf den Keller“. Von daher ist der Keller also auch ein sehr positiv besetzter Begriff. Außerdem wollten wir aber auch noch etwas Internationales im Namen und haben das dann mit dem Wort Kommando gefunden.
Ihr seid mit Kellerkommando zurzeit deutschlandweit erfolgreich unterwegs. Wie erklärst du dir den Erfolg besonders in den Gebieten, in denen Volksmusik eher weniger stattfindet, wie z. B. auf den Festivals in Hamburg oder Schleswig-Holstein?
Die Lieder, die uns inspirieren, sind Lieder, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden. Das sind quasi die Hits der vergangenen Generationen, also die, die so gut ankamen, dass sie immer wieder gesungen wurden. Insofern ist damit schon erklärt, dass ein grundsätzliches Hitpotenzial vorhanden ist. Es sind ja alles sehr eingängige Sachen, die den Ausgangspunkt des Ganzen bilden.
Hinzu kommt noch, dass momentan eine Offenheit bei den Menschen vorhanden ist, sich beispielsweise Bläser und Akkordeon anzuhören; auch unterstützt durch die aktuelle Balkanwelle. Die Leute hören sich eben nicht mehr ausschließlich Gitarrenmusik an. Diese Art von Musik interessiert also nicht nur so ein paar Freaks wie bisher, sondern ist wieder für eine breite Masse zugänglich. Es gibt wieder eine Offenheit gegenüber eigenen Traditionen. Denkt man zurück, dann war Heimat vor 10 bis 15 Jahren noch ein Schimpfwort, aber heute besetzen die Leute diesen Begriff erneut positiv. Man findet es wieder spannender, nicht nur irische, afrikanische oder jiddische Musik zu hören, sondern auch mal wieder die Wurzeln unserer Musik zu suchen.
Ein weiterer Grund ist, dass in den letzten Jahren in der Popmusik nichts wirklich Neues mehr passiert ist; das, was wir jetzt machen, ist so bisher nicht da gewesen. Es gibt immer diesen Aha-Effekt, die Leute stutzen ‒ ganz oft kommen Reaktionen wie: „Ich mag keine Volksmusik, ich mag keinen Hip-Hop, aber was ihr macht ist geil!“ Wir nehmen im Prinzip die Popmusik vergangener Generationen und mischen sie mit der Musik der heutigen Generation, um die Popmusik von morgen zu machen.
Wir haben gerade auf dem Wilwarin Festival in Schleswig-Holstein gespielt, einem Festival für Punks, wo wir super angekommen sind. Wir haben ja unseren Einzug mit Akkordeon und Blasmusik, da wird erst einmal komisch geguckt und es kommen Kommentare wie „Diesen Bayern ist aber auch gar nichts peinlich“. Und dann gehen wir auf die Bühne und es bricht los (lacht)!
Habt ihr mit Kellerkommando einfach aus Spaß angefangen und nach dem Erfolg dann weitergemacht oder war das von vorneherein eher durchgeplant?
Der Bassist als einer der beiden Produzenten der Band und ich haben uns über ein gemeinsames Theaterprojekt kennengelernt. Er produzierte damals schon professionelle Hip-Hop-Tracks. Ich hatte mich bereits länger mit traditioneller Musik und ihrer progressiven Umsetzung beschäftigt. Wir fanden, dass das nach einer schrägen Mischung klingt und wir uns einfach mal treffen sollten, um an einem Nachmittag etwas zusammenzubasteln. Das erste Ergebnis nach 2‒3 Stunden fanden wir dann schon so super, dass wir gesagt haben „Okay, das ist ʼne Bombe“ ‒ so hat sich das für uns angefühlt, damals im Sommer 2009.
Der musikalische Backgrund im Kellerkommando ist sehr breit gefächert: Rapper Ali A$ ist stark im Hip-Hop verwurzelt, hat hier bereits einen Namen und arbeitet z. B. mit Samy Deluxe zusammen; der Bassist kommt auch aus dieser Ecke, die anderen sind studierte Jazzer. Jeder bringt seinen Anteil in die Band ein, sodass ein Stilmix oder eher ein neuer Stil entsteht, der sich eigentlich recht schwer beschreiben lässt.
Wie kommst du zum Akkordeonspiel und inwiefern hat dich ein offenbar vorhandener traditioneller musikalischer Weg geprägt?
Gelernt habe ich eigentlich Klavier. Mit dem Akkordeonspiel begonnen habe ich erst während meines Studiums der Ethnomusikologie, bei dem man sich mit allerlei traditioneller Musik der ganzen Welt beschäftigt. Auslöser war eine Spaßband, bei der wir bekannte Rock- und Popsongs mit oberbayerischen Texten versehen haben. Das war ziemlich witzig, wir waren sehr von „Biermösl Blosn“ und Gerhard Polt beeinflusst und haben dann halt nur über die CSU, die katholische Kirche und den dritten Pfeiler, das Bier, gesungen. Es war ein Nonsens-Projekt, bei dem man nicht allzu viel auf dem Akkordeon können musste. Ich habe mir das Akkordeon von meinem Papa geschnappt und mir das Spiel dann autodidaktisch beigebracht. Später im Studium haben wir dann mit den Mitstudenten viel traditionelle Musik aus aller Welt, aber eben auch aus Franken gespielt. So kam ich dann immer mehr ins Akkordeonspiel rein ‒ und es wurde dann auch ernster.
Du hast also nicht, wie viele andere, als kleiner Junge oder Schüler mit dem Akkordeonspiel begonnen, sondern hast dich erst später bewusst dazu entschieden?
Genau, mein Papa hatte zwar traditionelle Musik gemacht, aber auch so viel andere Musik, dass er uns zu nichts gedrängt hat. Als ich mit 20 anfing, mich mehr damit zu beschäftigen, wunderte ich mich, woher ich diese vielen traditionellen Lieder kenne. Dann habe ich mich erst daran erinnert, dass mein Papa das früher immer gemacht hatte.
Ich fand das Akkordeonspiel im Studium schließlich so toll, dass es inzwischen zu meinem Hauptinstrument geworden ist. Ich finde es großartig, weil man immer sein eigenes kleines Orchester dabei hat. Man kann Melodien spielen, sich selbst begleiten und wenn man mag sogar noch dazu singen. Man ist nicht wirklich auf Mitmusiker angewiesen, sondern kann auch allein spielen ‒ obwohl ich sehr gern und oft mit Klarinettisten, Trompetern, Dudelsackspielern usw. musiziere. Das Gemeinschaftserlebnis ersetzt dir dein Akkordeon natürlich nicht.
Du moderierst auch die Sendung „Bayern 1 ‒ Volksmusik aus dem Studio Franken“. Der Spagat zwischen Tradition und Moderne scheint ja generell dein Leben zu bestimmen.
Ja, das ist so. Ich habe im Zuge meines Studiums ein Jahr in Finnland verbracht und mich damals sehr für finnische Kultur interessiert. Als ich dann wieder heimkam, hatte ich eine Menge offener Fragen. Ich wollte wissen, was es eigentlich mit meiner eigenen Kultur auf sich hat. Vorher hatte mich das nie so interessiert. Im Ausland wird man oft aufgefordert: „Erzähl mal, sing mal ein deutsches Lied.“ Dabei hatte ich lange nicht so viele Antworten parat wie Menschen anderer Nationen. Ich finde auch die Fragen nach der Herkunft unserer Musik interessant. Was haben unsere Urgroßeltern für Lieder gesungen und was hat sie bewegt?
Euer Einsatz der Volksmusik hat also durchaus einen ernsthaften Hintergrund und ist nicht nur als Stilmittel mit einem Augenzwinkern gedacht?
Ja und Nein. Es ist schon ein Augenzwinkern dabei, das kann auch nicht schaden. Es gibt natürlich viele lustige Lieder, aber es gibt z. B. auch einen Song, den wir immer als „fränkische R&B-Schnulze“ titulieren. Er heißt „Wenn die Blümlein draußen zittern“. Es ist ein wirklich sehr herzergreifendes Lied, über dessen Schmalz man sich lustig machen könnte; man kann den Song aber auch gut an sich ranlassen. Es gibt ja die beiden Begriffe Volksmusik und volkstümliche Musik, wobei man außerhalb von Bayern und Franken eher an „Musikantenstadl“ denkt. Wir beziehen uns aber tatsächlich nicht auf diese volkstümliche Schlagermusik, sondern eben auf traditionelle Lieder.
Werdet ihr in Franken in der traditionellen Umgebung akzeptiert oder gibt es da eher Unverständnis?
Ich bin in der Szene unterwegs und mir persönlich ist noch nichts Negatives zu Ohren gekommen. Ich möchte verständlich machen, dass wir Volksmusik mit Respekt behandeln und nicht eine „Verarsche“ daraus machen. Mir ist die Meinung der Kollegen schon wichtig. Ich finde auch die Altersstruktur auf unseren Konzerten spannend; das geht von den ganz jungen Vier- bis Fünfjährigen bis hin zu den 70-Jährigen. Da ist wirklich alles vertreten, mit einem Schwerpunkt zwischen 20 und 50, aber es sind immer auch Alte und Junge da. Manchmal denke ich, dass es die Älteren eigentlich gleich wegblasen müsste, auch von der Lautstärke her, aber die bleiben. Es ist ein wirklich schönes Gefühl, so unterschiedliche Leute musikalisch zusammenzubringen, wenn die Punker gemeinsam mit den Rentnern tanzen.
Das macht alles sehr neugierig auf eure Musik. Es gibt demnächst eine neue Produktion vom Kellerkommando. Was erwartet uns da? Inwieweit sind eure Erfahrungen im Livespiel als sehr energetische Festivalband bei der Studioproduktion eingeflossen?
Wir machen einen Unterschied zwischen Live und Studio. Wir sind sicher eine gute Liveband ‒ zumindest bekommen wir das immer wieder gesagt ‒ und alle sind sehr gespannt, wie wir das nun im Studio umsetzen werden. Wir haben bisher zwei EPs produziert und haben uns viele Gedanken gemacht. Es gibt einige gute Livebands, die ihre Musik im Studio dann eins zu eins umsetzen. Doch man spürt, dass der Druck plötzlich nicht mehr da ist und das Live-Erlebnis ebenfalls fehlt. Man sitzt dann daheim und ist enttäuscht von so einer Platte.
Für uns ist es wichtig zu sagen: „Wenn ich Kellerkommando live sehe und höre mir danach die Platte an, die ich mir auf dem Konzert gekauft habe, dann fesselt mich das immer noch. Ich höre die Band, die ich im Konzert erlebt habe, aber trotzdem finde ich neue Elemente und viele Unterschiede.“ Andersherum erfährt derjenige, der zuerst die Platte hatte, dann auch die Liveseite von Kellerkommando. Bei der Produktion setzen wir jedenfalls mehr moderne Sounds ein, als wir das live eh schon tun.
Du spielst ja ein Roland V-Accordion FR-1x ‒ setzt du es auf der Bühne eher traditionell ein oder nutzt du auch weitere technische Möglichkeiten, wie z. B. MIDI und akkordeonfremde Klänge?
Ich habe das V-Accordion jetzt erst ein paar Monate im Einsatz und möchte es bereits nicht mehr missen. Ich habe vorher mit einem akustischen Instrument gespielt und mir darüber keine Gedanken gemacht. Wir haben ja einen Keyboarder in der Band, der für die Synthesizerklänge zuständig ist, das ist also nicht meine Aufgabe. In unserem Projekt sollen gerade das Akkordeon und die Bläser den traditionellen Faktor präsentieren, daher ist das bisher kein Thema gewesen, und so soll es prinzipiell auch bleiben.
Mir gefällt jedoch der Tuba-Sound der Oberkrainer-Erweiterung sehr gut, den würde ich als Gag dann sicher mal einbinden, aber eben nur mal als Effekt. Ich setze das Akkordeon prinzipiell also ganz traditionell und nur mit Akkordeonklängen ein, wovon das V-Accordion ja auch eine große Palette bietet. Ich kann nicht nur mit den Registern ein Akkordeonmodell verändern, sondern habe gleich ganz unterschiedliche Akkordeons zur Verfügung, die ich nach Stimmung mit einem simplen Knopfdruck schnell für einen Song auswählen kann.
Das V-Accordion bietet für mich jedoch noch ganz andere Vorteile. Wir sind auf der Bühne viel in Bewegung. Ich habe früher mit Schwanenhalsmikros gearbeitet, die aber unglaublich viel vom Rest der Band mit einfingen; allein durch die Bläser haben wir mit sieben Mann eine recht hohe Lautstärke, dazu hämmert das Schlagzeug, hinzu kommt noch der Bass. Bislang hatte ich weder einen guten Monitorsound, noch konnte der Mischer draußen mit dem Klang arbeiten. Es war immer irgendwie ein Akkordeon da, aber man konnte es nicht wirklich passend einstellen. Das ist mit dem V-Accordion nun wesentlich besser möglich, und ich höre auch endlich, was ich spiele. Seit Kurzem habe ich nun auch ein In-Ear-System ‒ damit kann ich hingehen wo ich will und höre mich überall gleich gut. Zudem werde ich in Zukunft auf das Pro.Funk-System von HDS umsteigen, sodass ich auch keine Kabel mehr hinter mir her schleifen muss.
Du hast dich ja bewusst für das kleine Modell entschieden ‒ warum?
Es ist leicht und es ist alles drauf, was ich persönlich brauche. Außerdem kann ich durch die Software „rummodellieren“ und einiges für mich anpassen.
Ihr geht auch wieder auf Tour und dreht ein Video ...
Ja, das erste Video der neuen EP „Mondscheinbrüder“ ist bereits erschienen, weitere sind geplant und können demnächst im Netz angesehen werden. Das neue Album ist für das Frühjahr 2013 geplant. Jetzt haben wir im Sommer die Festivals gespielt, im Herbst geht es dann hauptsächlich in Süddeutschland in die Clubs, eventuell supporten wir auch eine größere Band auf deren Deutschlandtour. Bis zum Album wird einiges passieren! Alle Informationen dazu gibt es unter HYPERLINK "http://www.kellerkommando.com/"www.kellerkommando.com oder natürlich bei Facebook ...
Tipps vom Profi - David Saam empfiehlt:
Das hat sicher jeder schon einmal gesehen: ein Musiker, der sich soeben vergriffen hat, verzieht das Gesicht oder schüttelt den Kopf, als ob er sagen will: „Ich weiß, ich habe einen Fehler gespielt. Das passiert mir normalerweise nie!“ Jetzt weiß allerdings wirklich jeder im Saal, dass da was anders war als gedacht. Deshalb lieber ein professionelles Gesicht aufsetzen und sich gar nix anmerken lassen. Besser man schaut so, als wäre alles richtig gewesen. Mit einer überzeugten Miene zum eigenen Spiel kann man den Prozentsatz derer, die den Verspieler bemerken, drastisch herunterschrauben.
Man könnte auch sagen: ein Hauptunterschied zwischen dem Profi- und dem Amateurmusiker liegt nicht darin, ob der Musikus sich mal vergreift, sondern ob er sich das anmerken lässt. Sind denn das überhaupt „Fehler“ oder wollen wir nicht lieber von „kreativen Lösungen“ sprechen? Also: cooles Ganovengesicht beim Spielen nicht vergessen!"