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Dieser Artikel stammt aus akkordeon_magazin, Heft #14 vom Juni/Juli 2010
Stefanie Schumacher
Unmittelbarkeit des emotionalen Ausdrucks
Text: Katja Brunk; Fotos: Karl Wallowsky, Bettina Diel, Irina Pasdarca
Dass Stefanie Schumacher Akkordeonistin geworden ist, war nicht immer eine Selbstverständlichkeit. In einer Familie aufgewachsen, in der leidenschaftlich musiziert wurde, trat sie zunächst in die Fußstapfen ihrer Mutter, die Akkordeon im Verein spielte. Später nahm sie Privatunterricht, und begann sich kurz vor dem Abitur für die Tonmeisterlaufbahn zu interessieren. Dann fing sie an, viel Klavier zu üben, entschied sich aber doch für das Akkordeonstudium – zunächst mit dem Ziel, sich währenddessen am Klavier weiterzuentwickeln und dann den Sprung an die „große HDK“ in Berlin zum Tonmeisterstudium zu schaffen. „Nach ein paar Monaten war mir aber schon klar: Ich möchte nicht hinter den Reglern sitzen, sondern vorne auf der Bühne!“ Dass das eine sehr gute Entscheidung war, sieht man der jungen Frau aus Südbaden an. Ihre Augen strahlen, wenn sie von ihrer Musik erzählt und ihr herzhaftes Lachen spiegelt große Lebensfreude wider.
Kaum war die erste Entscheidung getroffen, konnte sie sich lange nicht zwischen Klavier und Akkordeon entscheiden. „Auch wenn sich das vielleicht kitschig anhört: Eigentlich bin ich Romantikerin – also im philosophischen Sinn. Ich suche durch den musikalischen Ausdruck eine andere Tragweite in der Musik. Da haben mir das Klavier und dessen reiches Repertoire gut gefallen“, erzählt sie. So hat sie während des Akkordeon-Studiums einen Abschluss als Klavierlehrerin gemacht und sich dabei auf jene romantischen Werke konzentriert, die ihr in der klassischen Akkordeonliteratur fehlen. Viele Werke lassen sich nicht so einfach vom Klavier aufs Akkordeon übertragen und sie begann, Auftragswerke in Arbeit zu geben. Einen geeigneten Komponisten zu finden, ist nicht einfach, erzählt die Akkordeonistin aus Erfahrung. „Ich suche immer sehr lange, bis ich Komponisten finde, bei dem ich sage: ‚Ja, diese Musik berührt mich im Innersten’. Ich bin jemand, der den Komponisten auch spüren und verstehen möchte, damit ich mir seine musikalische Idee wirklich zueigen zu machen kann.“ Beim Klavier kann sie auf ein jahrhundertealtes Repertoire zurückgreifen, aus dem sie die Komponisten aussuchen kann, denen sie sich nahe fühlt. Das geht beim Akkordeon leider nicht immer.
Die unmittelbare Kommunikation der Musik
Stefanie Schumacher will die unmittelbare Kommunikation, zu der Musik in der Lage ist. „Das Akkordeon soll sich direkt übertragen und ich möchte keine Worte brauchen, um meine Musik zu erklären. Eine universale Sprache also, die die Seele berührt.“ Ob das klappt, merke man selbst ganz schnell. Neben der Klassik hat sie während des Studiums auch Ausflüge in die Welt des Jazz gewagt. „Ich saß einmal auf der Bühne im Münchner Jazzclub Unterfahrt und dachte mir dabei: ‚Ist das richtig, was ich hier mache?’“, lacht sie. Für sie selbst hat es sich nicht richtig angefühlt und war eine Sackgasse. „Meine Qualitäten liegen einfach in der E-Musik!“
Die erste eigene Solo-CD
Das möchte sie auch mir ihrer ersten Solo-CD zeigen. Für die Akkordeonistin ist es ein ganz wichtiger Schritt, ihre eigene Vorstellung vom Klang und das Atmen des Instruments umsetzen zu können. Ihr großes Ziel ist es, ihr Bedürfnis nach subjektivem Ausdruck ausleben zu können. Die CD ist für kommendes Jahr geplant. Ein Teil davon wird Leoš Janáčeks Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfade“ sein – eine Sammlung von Erinnerungsbildern an seine früh verstorbene Tochter Olga. Stefanie Schumacher kann in seiner Musik viel von sich selbst wiederfinden, wie sie erzählt: „Das ist ein sehr melancholisches Werk und Janáčeks Biografie und die Hintergründe für die Entstehung des Werks gehen mir sehr nahe.“ Janáček betrieb intensiv Sprachforschung und die Melodie der Sprache seiner Landsleute floss in allen Werken mit in seine Tonsprache ein. „Das Akkordeon hat für mich etwas wahnsinnig Menschliches. Es atmet und ist nah am Körper, damit lässt sich Janáčeks Musik sehr lebendig ausdrücken“, erklärt die Musikerin ihre Vorliebe für den Komponisten. Dazu kommt, dass die ersten fünf Sätze des Zyklus für Harmonium gedacht waren und beide Instrumente – Harmonium und Akkordeon – mit dem gleichen Tonerzeugungsprinzip arbeiten. Eigentlich sei der Klavierzyklus ein nicht typisch pianistisches Werk und leide deswegen nicht unter der Transkription. Aus ihrer Liebe zu diesem Werk entstanden sogar eigene Auftragskompositionen, die sich auf Janáčeks Tochter Olga beziehen. „Ich möchte eine sehr lebendige Erinnerung an dieses Mädchen schaffen, nicht nur aus der Projektion ihres Vaters heraus“, verrät Stefanie Schumacher. „Es ist autobiografisches Material von der Mutter vorhanden, daneben viele Briefwechsel, wodurch man das Mädchen sehr gut begreifen kann.“
Auf ständiger Suche
Neben der Arbeit an ihrer Solo-CD spielt sie natürlich auch weiterhin in vielen Ensembleformationen. Eine Lieblingsbesetzung hat sie aber nicht. „In der Zeit – die sehr schön war – in der ich ausschließlich mit Flöte zusammengespielt habe, kam in mir immer wieder der Wunsch hoch, auch in anderen Formationen zu arbeiten. Meine Vielseitigkeit ist mir wichtig.“ Dafür ist sie immer auf der Suche nach neuen Musikern, zum Beispiel, wenn sie in einem Orchester mitspielt. „Ich entdecke immer wieder Musiker, von denen ich sage, mit dem würde ich sehr gerne etwas zusammen machen.“ Auf das Instrument kommt es ihr dabei gar nicht so sehr an, denn die Interpreten hinter den Instrumenten interessieren sie mehr als das Instrument selbst. Ihre Vielseitigkeit wird besonders deutlich, wenn man sich die Konzertprogramme des letzen Jahres anschaut. Es gab zwar Zeiten, in denen Stefanie Schumacher anzahlmäßig mehr Konzerte gegeben hat, dafür hat sie im letzten Jahr 25 verschiedene Programme erarbeitet. „Da ist man oft zu Hause mit sich selbst eingesperrt, um die vielen Projekte vorzubereiten.“ Das soll in Zukunft ein wenig anders werden. Sie möchte gerne mehr blockweise arbeiten, also Phasen haben, in denen sie ein Programm optimal vorbereiten kann, und dann wiederum Phasen, wo dieses Programm öffentlich gemacht wird und sich durch häufiges Spielen auch von Konzert zu Konzert weiter entwickeln kann. „Die große Kunst, wenn man ein Projekt häufig spielt, ist, dass man immer lebendig und wach bleibt. Ich finde es wichtig als Interpret, bei jedem Konzert eine etwas andere Interpretation zu geben, sonst lebt die Musik nicht mehr“, verrät sie.
Die Wiedergeburt
Wie die meisten Musiker gibt auch Stefanie Schumacher ihr Wissen an Instrumentalschüler weiter. Bis vor drei Jahren hat sie fest an einer Musikschule unterrichtet, sich dann aber davon frei gemacht. „Vor fünf Jahren gab es durch einen Handgelenksbruch eine heftige Unterbrechung meiner Laufbahn“, erzählt sie, und schon bei den ersten Worten merkt man ihr die Bedeutung dieses Ereignisses an. „Da hat sich in mir sehr viel verändert in Bezug auf das Wissen, dass das Musik machen endlich sein kann. Mir wurde bewusst, dass ich irgendwann vielleicht nicht mehr umsetzen kann, was ich unbedingt mein ganzes Leben machen wollte.“ Durch dieses eigentlich unschöne Ereignis entwickelte sie einen großen Antrieb, sich dem zu widmen, was sie hauptsächlich interessierte: Mit der Klassik auf der Bühne zu sein. „Ich bin nicht mehr der Tausendsassa, der ich einmal war. Ich möchte mich nicht mehr den Marktgegebenheiten anpassen, sondern will – auch wenn das härter ist und mehr Kraft erfordert –, meine E-Musik und meine Vorstellung davon einhundertprozentig durchziehen. Möglichst ohne Kompromisse!“ In dieser Zeit hatte sie das Bedürfnis, noch einmal intensiver in die Musik einzusteigen und widmete sich einem Aufbaustudium bei Teodoro Anzellotti in Bern. Das war eine sehr reiche und inspirierende Zeit für die Musikerin, in der sie dann mit dem Unterrichten aufhörte, um mehr Flexibilität zu haben. In Zukunft will sie allerdings wieder mehr unterrichten, um ihre Erfahrungen weitergeben zu können. Die Zeit nach ihrer Verletzung sieht sie selbst als eine Art Wiedergeburt an. „In meinem ersten Lebensabschnitt habe ich sehr viel mitgenommen, was von außen an mich herangetragen wurde. Ich war zu der Zeit sehr pragmatisch und habe das getan, was der Markt von mir wollte. Nach der Zwangspause wurde mir klar, wie wichtig es ist, das durchzuziehen, was man selbst möchte.“
Wenn sie wirklich noch einmal wiedergeboren würde, würde sie garantiert wieder Akkordeon spielen. „Aber dann müsste ich mir nicht erst die Hand brechen, um zu wissen, was ich auf dem Akkordeon machen möchte“, lacht sie.
▷ Hier ist ein YouTube-Video mit Stefanie Schumacher
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