#11...Best of 72

Liebe AM-Freunde und Fans ... wir (er)zählen nun rückwärts, nein vorwärts ... aus 72 unglaublich tollen Ausgaben. Täglich... also 72 Tage lang. Wenn wir bei 72 angekommen sind, dann ist auch 73 erschienen und 74 und unser aller Leben findet wieder gemeinsam statt!

 

Dieser Artikel stammt aus akkordeon_magazin, Heft #11 vom Dezember/Januar 2009/2010

Maria Reiter

 

„Sisyphos liebt seinen Stein“

Text Klaus Härtel, Fotos: Christoph A. Hellhake

„Woran werden Sie mich denn erkennen“, fragt Maria Reiter in der Verabredungs-E-Mail vor dem Interview, „an meinen Augenringen?“ Allein diese Frage birgt schon allerhand Aussagekraft über die Akkordeonistin. Sie suggeriert, dass sie womöglich müde ist, weil sie so viel zu tun hat. Und sie hat einen feinen Humor.

Sympathie ist oft eine Sache von Sekunden. Ein Blick und man meint zu erahnen, ob man mit dem Gegenüber auskommen wird. Allein schon die schmalen, feinen Lachfalten, die den Mund und die Augen der 41-Jährigen Maria Reiter umspielen, brechen den Bann. Aus den strahlenden Augen spricht eine sagenhafte Begeisterung – für die Musik wie sich im Gespräch herausstellen wird – und pure Lebensfreude.

Keinen Ruf zu verlieren

Die Augenringe waren also glatt geflunkert. Und doch wäre das durchaus denkbar, denn gerade kommt die Akkordeonistin mit allerhand Gepäck aus Graz und „ich werde auch noch eine Woche unterwegs sein“. Viel zu tun hat die 41-Jährige trotz oder gerade wegen ihrer Instrumentenwahl. Dass Akkordeon als Randinstrument „bietet doch alle Chancen“, schwärmt sie. Und sollte Akkordeon tatsächlich ein negatives Image haben („Ich sehe das nicht so.“), ändert das ja nichts an der Vielseitigkeit des Instruments. Ganz im Gegenteil, denn „so haben wir ja keinen Ruf zu verlieren.“ Maria Reiter lacht.

In die Welt hinaus

Und so wie das Akkordeon seine musikalische Karriere auf dem Tanzboden und mit gemütvollen Volksweisen aller Art begann und auf das Konzertpodium hinauf und  in die Welt hinaus strebte, vollzog auch Maria Reiter dieselbe Bewegung als sie vom Trachtenverein und dem allseits beliebten „La Paloma“  ausgehend sich unter anderem der mongolischen Weltmusik mit Urna Chachar Tugchi zuwandte. Außerdem musizert sie mit dem Figurentheater der „Puppet Players“. Auf dem Akkordeon hat die Musikerin auch schon die Gesänge von Purcell oder Monteverdi begleitet – gesungen von den Sopranistinnen Monika Lichtenegger und Beate von Hahn. Bei den Opernfestspielen in München war das. Die barocken Zwiegesänge funktionierten ebenso gut  bei den Festspielen in Hue in Vietnam. Und da ist genremäßig noch lange nicht Schluss. Tourneen und viele schöne Einzelkonzerte erlebte die Akkordeonistin mit Konstantin Wecker, mit Krista Posch, Rufus Beck, Petra Lamy, Nicole Beutler sowie Michael Heltau und Wolf Euba. Zudem ist sie noch festes Mitglied der Wiener Theatermusiker.

 „Ich mache genau das, was ich machen möchte.“

Bei all den unterschiedlichen und vor allem zahlreichen Engagements stellt sich dann doch die Frage, ob sie sich nicht gelegentlich einen soliden „Nine-to-Five-Job“ wünscht. Mit geregelter Arbeitszeit und stabilem Gehaltseingang. Maria Reiter zögert nicht eine Sekunde: „Nein.“ Man nimmt ihr das ab, wenn sie von dem „Riesenglück“ erzählt, das sie hat „genau das zu machen, was ich möchte“. Dass das gelegentlich anstrengend ist, will sie gar nicht verhehlen, doch „Sisyphos liebt seinen Stein.“ Vor dem inneren Auge schiebt Maria Reiter das wuchtige Dallapé-Akkordeon den Berg hinauf. „Man ist nie am Ziel“, meint die Akkordeonistin. „Man lernt ständig dazu und nie aus. Ich füttere mein Leben mit Erfahrungen und Eindrücken. Ich probiere aus und verschiebe Grenzen.“ In einem Leben sei immer mehr drin, als man im Vorfeld meine. „Mein Antrieb ist, mit guten Leuten zusammen zu spielen.“

Ernst war es nie – wichtig immer

Maria Reiter begann mit vier Jahren Akkordeon zu spielen, weil ihr Vater das auch tat. „Ich konnte mit fünf Jahren lesen, weil überall Bücher herumstanden und ich das unbedingt verstehen wollte – und  die Musik habe ich mir anfangs selbst beigebracht. Ich konnte zwar keine Noten lesen, aber Akkordeon spielen konnte ich“, erzählt sie. „Ich habe lange nicht geahnt, dass Notenlesen etwas mit Arbeit zu tun haben könnte.“ Wann wurde es denn dann ernst mit dem Akkordeon? „Ernst? Nie! Aber wichtig war es mir schon immer!“ Mit fünf hat die Musikerin erkannt, dass man mit dem Akkordeon Geld verdienen kann. „Da habe ich meine Verwandten bei der Familienfeier abkassiert“, lacht sie. „Leider habe ich das Geld dann beim Schaukeln verloren.“

Inspiriert von Enrique Ugarte

Ihre Ausbildung, erzählt die Musikerin, sei „wild und schleichend“ gewesen. Und strikt nach ,Hingezogenheit'“. Inspirierendster Instrumentallehrer war ihr der baskische Akkordeonist und Dirigent Enrique Ugarte. „Der hat so gespielt, wie man spielen muss. Kraftvoll, präzise, orchestral.“ Eine andere „zentrale Leitfigur“  ist der Komponist und Pianist Rudi Spring, mit dem sie 1994 das Ensemble Così fan Tango (Akkordeon, Hackbrett und Klavier) gründete.

Die Herzensangelegenheit „Non Sordino“

Überhaupt ist ihr die Kammermusik eine große Herzensangelegenheit. Neben „Cosi fan Tango“ nimmt vor allem das Ensemble „Non Sordino“ viel Zeit in Anspruch. Dabei ist dieses eigentlich aus einer Verlegenheitslösung entstanden, wie der Kontrabassist Philipp Stubenrauch erzählt. Begonnen hatte es Ende 2002, als der Münchener Cellist Peter Bachmann freie Hand erhielt, für ein Benefiz-Konzert ein Ensemble zusammenzustellen. Gerade hatte er bei einem Konzert des Münchener Kammerorchesters die Akkordeonistin Maria Reiter entdeckt, die sein Vorhaben mit Verve unterstützte. Für die Realisation eines Orgelwerks von Bach, der Dvorák-Bagatellen und erster Piazzolla-Stücke fanden sie den jungen Kontrabassisten Philipp Stubenrauch und die Geigerin Michaela Buchholz, die drei Jahre nach der Ensemble-Gründung von Esther Schöpf abgelöst wurde. „non Sordinos“ erstes Programm wurde mit verblüffter Begeisterung von einem handverlesenen Publikum aufgenommen, was zum Fortsetzen dieses künstlerischen Experimentes motivierte. Bei der kontinuierlichen Erweiterung ihres Repertoires durchpirschen die vier Musiker mit einigem Wagemut die aufgeschriebene Musik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Gibt es denn etwas, was überhaupt nicht geht? Irgendwelche „Heiligen“, an die man sich nicht herantraut? „Gerade die Heiligen sollte man doch zum Leben erwecken“, fordert die Akkordeonistin. Das Ensemble lebt und spielt nach der Devise: „Alles geht.“ Und in der überraschend reizvollen Instrumentalbesetzung erklingen dann Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Antonín Dvorák, Richard Wagner, Claude Debussy, Darius Milhaud und der Tango Nuevo Astor Piazzollas in neuem Gewand. Durch den Umstand, dass jedes Stück erst für sie bearbeitet oder gleich neu komponiert werden muss, spielen sie nur die Musik, die ihnen Herzensangelegenheit ist. Und dies dann in einer "Neuinszenierung", wo jeder weit über die instrumententypische Funktion hinaus sein ganzes Können einbringen kann.

Maria Reiter gibt zu, dass sie ständig auf der Suche ist. In der Ferne liegt irgendwo der Gral, und „da möchte ich hin!“ Was das genau ist, vermag man nicht zu sagen. „Doch jeder, der sich bewegt, bewegt sich darauf zu.“ Das bedeutet viel Arbeit und auch Vielseitigkeit. Und mit der Vielseitigkeit kommt man auch überall hin. Ob nach Vietnam, auf die Bühne zu Konstantin Wecker, ins Wiener Burgtheater, die Kirche, das Wirtshaus oder den Club – da nimmt Maria Reiter die paar Augenringe gerne in Kauf.

 

 

Hier ist ein YouTube-Video mit Maria Reiter

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