#08 ...Best of 72

Liebe AM-Freunde und Fans ... wir (er)zählen nun rückwärts, nein vorwärts ... aus 72 unglaublich tollen Ausgaben. Täglich... also 72 Tage lang. Wenn wir bei 72 angekommen sind, dann ist auch 73 erschienen und 74 und unser aller Leben findet wieder gemeinsam statt!

 

Dieser Artikel stammt aus akkordeon_magazin, Heft #08 vom Juni/Juli 2009.

 

 

Manfred Leuchter

 

„Der Klang von Stimmzungen rührt mein Seelchen“

Text: Katja Brunk

Manfred Leuchter ist eine sehr vielseitige Musikerpersönlichkeit, und doch finden sich im Internet nicht viele Informationen über ihn. Zumindest nicht zu seiner Person oder seinem Privatleben. Ihm reicht es, dass die musikalisch interessanten Dinge über sein Leben zu finden sind, außermusikalische Eigenschaften behält er lieber für sich. Genau diese Art – im Gegensatz zu den vielen Individuen, die am liebsten jeden ihrer Schritte im Interet darstellen – macht ihn für viele noch interessanter. Und ein paar private Dinge hat er im Interview dann schließlich doch verraten.

akkordeon magazin: Sie sind seit 2002 stolzer Besitzer eines Kamels. Haben Sie das noch?

Manfred Leuchter: Aber natürlich! Es hört (meistens jedenfalls) auf den stolzen Namen „Alphonse 1er“ und ich habe es gekauft, um es einem Berberfreund im südlichen Marokko zu überlassen, der sich damit an einer Karawane beteiligen konnte. Sozusagen Entwicklungshilfe auf privatem Niveau. Mir bereitet es allerdings auch großes Vergnügen, bei einem Trip durch die marokkanische Wüste mit dem eigenen Tier unterwegs zu sein.

Wie kann man sich Ihr Leben zwischen Deutschland und Marrakesch vorstellen?

Ich hatte sieben Jahre lang ein Haus in der Medina von Marrakesch. Dort habe ich in der Abgeschiedenheit die letzten sieben CDs geschrieben. Ab 2004 bin ich durch die ganze Welt getourt,  sodass ich das Haus in Marrakesch immer weniger nutzen konnte. Parallel dazu entwickelten sich starke musikalische Beziehungen in den Nahen Osten, wo ich seitdem gerne und oft bin. Ein schöner Beleg dafür sind die Cds „Zina“ und „Nine days of Solitude“ mit der syrischen Gruppe „Hewar“. Da habe ich das Häusle irgendwann aufgegeben. Leben ist Wandel...

Aber in den Jahren davor war Marrakesch ein steter Quell der Inspiration, in dem ich manchmal für Monate, aber manches Mal auch nur für vier Tage war. Zum Schreiben, zum Durchatmen und um den Blick zu weiten. Und die Geschichte ist ja nicht vorbei. Es gibt Dinge, die bleiben: Ein paar Freunde und das gute Gefühl, es gehabt und erlebt zu haben. Und dann ist es ja nicht so, als herrschte jetzt lähmende Stille in meinem Musikerleben. Im Gegenteil.

Haben Sie Familie?

Treffer! Wenn Sie damit ein liebend’ Weib und eine muntere Schar von Kindern meinen, nein. Weil das bei einem Leben, das zuweilen in hundert Nächten und mehr pro Jahr im Hotel stattfindet, nicht so einfach ist. Aber man kann nicht alles haben, und wer weiß... Jedenfalls zahlt jeder seinen Preis.

Fühlen Sie sich als Akkordeonist im Ausland wohler?

Wenn man ein Wanderer ist, geht man vielleicht intuitiv immer dorthin, wo das Gras ein bisschen grüner zu sein scheint, als auf der eigenen Wiese. Das schon. Und zum Beispiel in Damaskus war das Gras in den letzten Jahren ziemlich grün für mich. Aber ich fühle mich überall dort wohl, wo Leute Lust haben, zuzuhören.

Wieso gerade Akkordeon?

Eine witzige Geschichte: Ich muss so sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, da bekam mein älterer Bruder ein kleines Akkordeon als Weihnachtsgeschenk. Ich selbst bekam auch sicher etwas Schönes, aber das interessierte mich weniger. Und als dann noch das Verbot meiner Eltern erging, das Instrument auch nur anzurühren, war der Weg geebnet: Ich habe fortan heimlich geübt und war ein Jahr später, als mein Vater mich „erwischte“, schon einigermaßen fit für einen kleinen Mann. Zur Strafe gab's ein Klavier...

Was gefällt Ihnen besonders daran?

Naja, zunächst ganz praktisch: Nach vielen Jahren des Herumreisens als Organist und Keyboarder, in denen jeder Auftritt einem Möbeltransport gleichkam und das Akkordeon gleichsam nur als „Handgepäck“ dabei war, hatte der Gedanke, mit relativ leichtem Gepäck voll einsatzfähig zu sein, etwas Bestechendes. Wer einmal eine Hammond und ein Lesley transportiert hat, weiß, wovon ich spreche. Und „leicht“ ist natürlich auch so eine Sache, wenn man mit diesem Gerät, das einen prima Bombenlegerkasten abgeben würde, in Tel Aviv am Flughafen steht und nach Ramallah will...

Dann aber vor allem musikalisch: Man wählt nicht zufällig sein Instrument (wenn nicht gar das Instrument sich seinen Musiker aussucht). Und der Klang von Stimmzungen im Allgemeinen rührt mein Seelchen. Ich kann mit nichts anderem schöner ausdrücken, was ich erzählen möchte.

Haben Sie studiert?

Ich bin ein Autodidakt reinsten Wassers. Mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Vorteil liegt vielleicht darin, dass man eigene Wege finden muss, um bestimmte Dinge spielen zu können. Das führt zuweilen zu unorthodoxem Spiel. Ein Nachteil ist, dass es manchmal Jahre braucht, einen Fehler, auf den einen ein guter Lehrer in den ersten drei Wochen aufmerksam gemacht hätte, wieder gerade zu rücken.

Üben Sie noch regelmäßig?

Oh ja, und wie! Aber ich habe das nie als Arbeit empfunden. Musiker „gehen spielen“, nicht arbeiten. Aber das Schönste ist: In meinem stillen Kämmerlein kann ich mich mutterseelenallein durch Spielen und Üben glücklich machen. Und das hätte ich gern täglich mehrere Stunden.

Wie ist das Verhältnis Ihrer Arbeit als Komponist, Produzent und Musiker?

Ich habe das große Privileg, dass all diese Tätigkeiten sich aufs Schönste verzahnen. So muss ich durch die Möglichkeit des Produzierens niemanden um Hilfe bitten, wenn ich eine CD aufnehmen möchte. Und bei diesen Aufnahmen fließen die Bereiche kaum trennbar ineinander. Bei Fremdproduktionen ist es ein bisschen anders. Da sind die Bereiche Technik und Organisation etwas stärker betont, aber auch dort  spielt am Ende die Musik die größte Rolle. In den letzten Jahren haben sich die Gewichte ein wenig in Richtung Musizieren verlagert, was aber so gewollt war und Spaß macht.

Würden Sie sich als Allround-Talent bezeichnen?

Der Begriff „Talent“ stört mich eher. Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt. Andersherum bin ich mir sicher, dass bei intensiver Beschäftigung und günstigen Rahmenbedingungen nach einer Weile eigentlich jeder, der jung beginnt, schöne Ergebnisse schaffen kann.

Sie arbeiten schon sehr lange mit Reinhard Mey zusammen.

Ja, wir sind jetzt im dreiundzwanzigsten Jahr musikalisch beieinander, was für das Musikgeschäft wirklich ungewöhnlich ist. Ich habe 1986 zuerst eine Live-CD für Reinhard Mey aufgenommen, und ab da ging es Schritt für Schritt.

Haben Sie eine Lieblingsbesetzung?

Am liebsten ist mir immer die Besetzung, mit der ich gerade spiele. Das Duo mit dem Fingerstyle-Gitarristen Ian Melrose hat seinen sehr eigenen Charme, weil es so klein und leise daherkommt und weil die feinsten Nuancen wichtig sind. Das Trio mit dem iranischen Percussionisten Afra Mussawisade und dem Gitarristen Florian Zenker hat da schon deutlich mehr Druck, und wenn es richtig krachen soll, dann ist das Quartett mit Steffen Thormählen (Schlagzeug), Antoine Pütz (Akustische Bassgitarre) und Sebastian Pottmeier (Saxofone) die feine Wahl.

Sehr angenehm sind mir auch Gastauftritte, zu denen ich glücklicherweise von vielen verschiedenen Leuten und Gruppen eingeladen werde. Kaum Verantwortung und befreit aufspielen können...

Spielen Sie nur selbst komponierte Werke?

Meistens. Und solange mir die Ideen nicht ausgehen, habe ich ein wenig Angst, dass nicht genug Zeit bleiben könnte, sie alle in Töne zu fassen. Außerdem: Die achthunderteinundzwanzigste mittelmäßige Version von Libertango muss ja nicht unbedingt von mir kommen, wenn ich nicht einen echten Gedanken da hineinbringe, der das Stück anders erzählt.

Woher nehmen Sie ihre Inspiration?

Ganz simpel: das ist mein Beruf, und ich beschäftige mich wie jeder arbeitende Zeitgenosse einfach viele Stunden täglich mit dieser Sache. Wenn es da nicht zu Inspirationsschüben käme, hätte ich wohl in der Berufswahl einen Fehler gemacht. Das einzige, was man daneben aktiv tun kann, ist, der Inspiration nicht im Weg zu stehen und sie anzuregen. Reisen ist da für mich ein schönes Mittel. Wenn man auf die Art reist, wie ich das mache, ist man zwangsläufig wach. Man schaut sozusagen mit offenen Ohren hin. Und wenn man dann noch den Dialog mit Musikern des jeweiligen Landes findet, dann wäre es verwunderlich, wenn man davon nicht inspiriert würde.

Schreiben Sie auch heute noch Theaterkompositionen?

Ich bin dem Theater weiterhin verbunden und schreibe ab und zu dafür, wenn es allen in den Zeitplan passt, und alle glauben, dass ich zu dem Thema etwas beitragen könne. Das Theater bietet dem Musiker unglaubliche Möglichkeiten. Ich würde sagen: Wenn ich heute überhaupt musikalisch-inhaltlich denken können sollte, dann habe ich es wohl im Theater gelernt.

Sie haben erst im Jahr 2000 Ihr erstes Soloalbum veröffentlicht. Warum so spät?

Nun ja, der Focus war zuvor woanders. Ich habe in den Jahren davor auf unzähligen Aufnahmen gespielt, viele viele Platten produziert und bin mit den verschiedensten Künstlern aufgetreten. Der Gedanke, dies unter eigenem Namen zu tun, kam mir ab1998 wie zwangsläufig und hatte einen Tonträger als „Visitenkarte“ zur Voraussetzung. Da habe ich mir halt einen gemacht. Und weil dieser auf schönen Zuspruch stieß, folgte seit dem Jahr für Jahr mindestens ein weiterer. Und so lange das außer mir jemand hören will, mache ich weiter.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Oje, es sind so viele. Zunächst steht neben den Konzerten mit den verschiedenen Besetzungen eine Trio-CD an. Ich richte nur gerade ein neues Tonstudio ein, und das braucht seine Zeit. Aber sobald es fertig ist, geht es los mit den Aufnahmen. Dann, im Herbst, beginnen die Vorbereitungen für die neue Reinhard-Mey-CD, die am 15. März 2010 fertig sein wird. Und die Zeit dazwischen verbringe ich mit Üben, Reisen und Leben.

 

Hier ist ein YouTube-Video mit Mafred Leuchter

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