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Dieser Artikel stammt aus akkordeon_magazin, Heft #06 vom Dezember/Januar 2008/2009.
Klaus Paier
Großer europäischer Akkordeonist von Weltruf
Text: Klaus Härtel, Fotos: www.klaus-paier.com
Ein Publikum spürt, wenn die Musiker alles geben. Dann wird ein Konzert auch ohne große Worte interaktiv. Es ist ein wechselseitiges Geben und Nehmen, ein Austausch von Emotionen. Der Akkordeonist Klaus Paier gehört in diese Kategorie. Ohne Zweifel. Sein Konzert ist energiegeladen. Die Musik mal atemlos, mal melancholisch. Auch wenn der Österreicher seine Augen meist geschlossen hält während des Spiels – das Publikum ist bei ihm und er ist beim Publikum.
Die Atmosphäre ist sehr intim an diesem Abend in der Caverne des Hotels Blaue Gans in Salzburg. Jazz in der Altstadt ist der Name der Konzertreihe, in der das Duo Klaus Paier und Asja Valcic ihren Auftritt haben. Das Kellergewölbe ist in schummriges Licht getaucht, als der Akkordeonist und die Cellistin die kleine Bühne betreten. Fast schon eine Art Wohnzimmeratmosphäre, wie Klaus Paier treffend anmerkt. Er mag das, sagt er hinterher. Man merkt das, beim Spiel. Klaus Paier legt seine volle Konzentration auf und seine ganze Energie in die Musik. Deshalb auch die geschlossenen Augen – was übrigens kein Akkordeon-spezifisches Phänomen darstellt. Denn auch Asja Valcic spielt ihr Cello meist „blind“. Die Musiker gehen eben ganz in ihrer Musik auf. Und der Schweiß fließt bei Klaus Paier in Strömen.
Paier'scher Erfindungsreichtum
Gemeinsam erschaffen Paier und Valcic einen musikalischen Kosmos voller perkussiver Elektrizität, verinnerlichter Leidenschaft und selbstbewusstem Purismus, der auch Raum gibt für Improvisation. Die Kompositionen Paiers tragen vielsagende Titel wie „La Pirouette“, „Singing Bird“ oder „Histoire d'amour“. Es sind kammermusikalische Unterhaltungen, die sich zart und zupackend, schwelgend und groovig, tänzerisch und schräg, aber dabei frei von jeglichem Pathos diverser musikalischer Formen und Traditionen bedienen. Bei allem Bedienen an französischer Musette, argentinischem Tango, Balkantänzen und Jazz klingt es vor allem nach echt Paier'schem musikalischem Erfindungsreichtum – filigran und voller Ernst, Präzision und Intensität und mit unverschämter Leichtigkeit.
Was ist schon Jazz?“ fragt Paier
„Schlendern Sie durch die klingende Altstadt“, fordern die Veranstalter von „Jazz in der Altstadt“ auf, „bummeln Sie durch die Salzburger Clubs.“ Zuhörer, die eher zufällig in das Kellergewölbe geraten sind und traditionellen Jazz erwartet haben, dürften überrascht gewesen sein ob der Musik, die sie da erreichte. „Doch was ist schon Jazz?“ fragt Klaus Paier. Das sei ein weiter und vor allem dehnbarer Begriff. „Und das ist ja gerade das schöne an dieser Musik. Jazz gibt mir die Freiheit, meinen eigenen Ton zu spielen.“ Und ob er jetzt nun gerade Jazz zum besten gibt, einen Tango oder französische Musette, spielt im Konzert eigentlich überhaupt keine Rolle. Berührungsängste hat er nicht. „Wichtig ist mir, Gefühle zu vermitteln“, betont Paier. Die positiven bis überschwänglichen Rückmeldungen der Konzertbesucher bestätigen die Künstler. „Ich weiß dann manchmal überhaupt nicht, was ich antworten soll“, lacht der Akkordeonist. „Eigentlich kann ich nur ,Danke' sagen.“ Oder CDs verkaufen, was in Salzburg offenbar funktioniert hat.
Entdeckungsfreude, Neugier, Rastlosigkeit
„Ich bin eigentlich kein großer Fan des traditionellen Akkordeonspiels“, gibt Paier zu. Was nicht bedeutet, dass er dem nichts abgewinnen könnte. Vielmehr sind es die Entdeckungsfreude, die Neugier und die positive Rastlosigkeit, die Paier antreiben, alle Facetten des Akkordeons und des Bandoneons zu ent- und aufzudecken. Als Botschafter des Instrumentes sieht er sich indes nicht unbedingt. Paier reist nicht mit der Forderung „Spielt mehr Akkordeon!“ durch die Welt. „In erster Linie bin ich Musiker“, erzählt er, „doch wenn es der Sache dient, den Ruf des Akkordeons zu verbessern – warum nicht?“ Paier erkennt in der jüngeren Vergangenheit auf jeden Fall eine Imagepolitur. „Überall gibt es Akkordeon-Festivals. In Österreich, in der Schweiz, in Deutschland. Das Akkordeon ist zwar immer noch ein bisschen exotisch – doch die Leute lieben das Exotische.“ Doch Kritik hat der Österreicher ebenfalls parat. „Ich vermisse ein wenig die Spielkultur“, klagt er an. „Mir ist das Akkordeonspiel oft zu sehr auf die Technik ausgerichtet, das Spielgefühl fehlt.“ Ein Tango ohne Emotion beispielsweise ist kein Tango. Mit Gefühl erreicht man viel eher das Publikum.
Das Ergebnis konsequenter, harter Arbeit
„Kann man vom Akkordeon Spielen eigentlich leben?“ fragen wir den „großen europäischen Akkordeonisten von Weltruf“ – wie ihn seine Plattenfirma ACT in München beschreibt. Offensichtlich, wenn man sich den Termin- und Projektplaner von Paier so anschaut. „Ich kann davon leben“, meint er, „doch das ist das Ergebnis von konsequenter, harter Arbeit. Es ist auch nicht die Musik alleine. Das hat viel mit Organisation zu tun – aber das gilt für alle Musiker, nicht nur für Akkordeonisten.“ Zu Beginn der Karriere hat Paier auch viel unterrichtet. Zumal das Studium in Klagenfurt auch primär auf die pädagogische Schiene ausgerichtet war. „Vom Spielen alleine lebt kaum einer.“
Der Humor darf nicht fehlen
Klaus Paiers Musik versprüht neben Energie und Emotion immer auch eine gute Portion Humor. Hörbar ist das unter anderem auf der CD „Radiotree“, die Paier gemeinsam mit dem „radio.string.quartet.vienna“ eingespielt hat. Ob bei „Humoreske“ oder auch „Hosent'raga“ – der Witz spielt mit. Wie wichtig ist eigentlich der Humor in der Musik? „Der ist wichtig wie im richtigen Leben“, weiß Asja Valcic, „überlebenswichtig.“ Vor allem die Klassik sei manchmal sehr ernsthaft. Zu ernsthaft. „Es gibt dort so viele Regeln – bereits in der Ausbildung –, dass man schon den Humor verlieren kann“, lacht Klaus Paier. Es gebe zwar auch in seinem Bereich gewisse Regeln, doch „das sind dann meine eigenen. Und außerdem sind Regeln ja bekanntlich dazu da, gebrochen zu werden.“
▷ Hier ist ein YouTube-Video mit Klaus Paier
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